Promenadendeck
bitte?«
»Dr. Schwarme, mein Name. Rechtsanwalt. Fahren wir mal wieder nach unten.« Dr. Schwarme machte einen mutigen Eindruck. Moor nickte mehrmals und murmelte seinen Namen.
»Angenehm. – Es war ein menschlicher Schrei?«
»Ich weiß nicht. Wenn ein Mensch so schreien kann, muß er etwas Fürchterliches erleben. Das klang unmenschlich. Ich könnte mir vorstellen … wenn man jemanden foltert …«
Dr. Schwarme schob das Kinn vor, hielt den Lift an, drückte C-Deck und schlug die Fäuste gegeneinander. »Das haben wir gleich! Vielleicht war's eine rostige Winde, die kann herzzerreißend klingen.«
»Hier unten? In der Nacht? Auf hoher See?«
»Da haben Sie recht.«
Der Lift hielt, die Tür schob sich auf, Schwarme und Moor traten in das Treppenhaus. Sie sahen sich um. Alles war still und leer. Nur durch die gut isolierte Tür der Nachtbar klang ganz leise Musik.
»Woher kam der Schrei?« fragte Dr. Schwarme.
»Ich weiß nicht. Er war überall, hing in der Luft … zweimal …«
»Zweimal?!«
»Mir blieb fast das Herz stehen.«
»Jetzt ist alles still.« Dr. Schwarme wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Dabei merkte er, daß er schwitzte. Kalter Schweiß. »Warten wir noch ein paar Minuten … und dann gehen wir an die Bar und kippen einen doppelten Cognac. Sie haben ihn verdammt nötig.«
Moor nickte ergeben, hielt den Atem an und wünschte sich, nie wieder diesen Schrei hören zu müssen.
2.
Der Fisherman's Club ist im wahrhaftig nicht langweiligen Tagesablauf auf der MS Atlantis immer die letzte Station. Wenn alle anderen Bars geschlossen haben: Hier treffen sich die Unermüdlichen, die Erlebnishungrigen, die Nimmermüden und die Einsamen. Es kam nicht selten vor, daß Passagiere mit einem phänomenalen Durchstehvermögen vom Fisherman's Club gleich zum Frühstücksbuffet an Deck gingen und dort frühstückten und bereits fischmunter im Pool schwammen, wenn die ersten ›normalen‹ Reisenden aus ihren Kabinen kamen.
Die Nachtbar war fest in Jerrys Hand. Eigentlich hieß er Lothar, aber der Name war ihm für seinen Job zu brav gewesen. Jerry, das klang verwegen, nach Abenteuer, nach Chikago, und vor allem kann ein verliebtes Mädchen es besser flüstern. In inniger Umarmung klingt Jerry besser als ein gehauchtes Lothar. Außerdem war Jerry ein Meister im Mixen. Die von ihm selbst erfundenen Cocktails konnte man weder im Waldorf von New York noch im Hyatt in San Francisco bekommen. Wenn er mal abmusterte, wollte er ein Cocktailbuch schreiben.
Als Moor und Dr. Schwarme eintraten, war auf der kleinen Tanzfläche ein Gedränge, daß von Schrittkombinationen keine Rede mehr sein konnte. Der Discjockey hatte einen Swing aus der guten alten Zeit aufgelegt, und so wogten die sich umschlingenden Körper meist auf der Stelle hin und her. Moor steuerte auf die Bartheke zu, wo er zwei freie Hocker sah, und klemmte sich auf den Sitz. Dr. Schwarme folgte ihm. »Doch noch Durst?« fragte Jerry und grinste freundlich. Er hatte Moor ja gerade vor wenigen Minuten weggehen sehen. »Noch 'n Urquell?«
»Cognac«, sagte Moor mit düsterer Stimme. »Aber richtig! Kein nasses Glas!«
Er hatte das mal als Witz in einer Illustrierten gelesen und schön gefunden.
»Französischen?« fragte Jerry.
»Was sonst?« Moor blickte Dr. Schwarme an: »Sie auch?«
»Nein, ich einen Whiskey.«
»Einen schottischen Whisky?«
»Ich habe Whiskey gesagt, das ist immer noch ein Bourbon.«
Jerry goß mit eisernem Gesicht ein. Geldsäcke, dachte er. Kommen sich vor wie im siebten Himmel, wenn sie einen Barkeeper belehren können. Er servierte Moor einen deutschen Weinbrand und Dr. Schwarme einen deutschen Whisky und wartete, bis sie den ersten Schluck getrunken hatten.
»Zufrieden?«
»Hervorragend.« Dr. Schwarme drehte sich um und blickte einmal rund durch die Bar. Noch waren sie alles Fremde, gerade an Bord gekommen, aber schon nach wenigen Tagen würde sich herausstellen, wer jede Nacht hier unten Stammgast war. Wie überall, wo Menschen zusammenleben, würden sich Grüppchen bilden; hier unten würden sich die Lebenslustigen wohl fühlen. Auch Dr. Schwarme gehörte zu ihnen. Er war zwar mit seiner Frau auf die Reise gegangen, aber die lag längst in der Kabine im Bett, das Gesicht mit einer grünlichen Nährcreme verkleistert. Wenn er zu ihr sagte: »Ich geh schnell noch ein Bierchen trinken« und erst spät in der Nacht zurückkam, dann schlief sie so fest, daß sie gar nicht hörte, wie er ins Bett fiel. Er
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