Promenadendeck
kannte das, er war ein alter ›Seefahrer‹. Die Meeresluft wirkte auf Erna wie Sekt mit Schlafmittel; zuerst aufmunternd, vor allem beim Abendessen und den abendlichen Veranstaltungen an Bord – aber dann, nach Beendigung des offiziellen Programms, kam es wie eine Lähmung über sie. Kaum in der Kabine und ausgezogen, schlief sie auch schon. Die horizontale Lage war wie ein Hebel, der bei ihr herunterklappte: Ende. Dabei war Erna Schwarme eine schöne Frau, im wahrsten Sinne des Wortes: Etwas über mittelgroß, blondgelockt, Mitte der Vierzig, ungemein gepflegt, mit wirklich zarter, fast fältchenfreier Haut – die grüne Nährcreme! – und einem Körper, den man als wohlgeformt bezeichnen konnte. Ihre Kleider verrieten teure Ateliers, und ihr Schmuck zeigte jedem, daß ihr Mann, Dr. jur. Peter Schwarme, ein erfolgreicher Rechtsanwalt war. Das große Geld aber machte er als Personalberater. Die wenigsten können sich darunter etwas vorstellen, und es ist auch schwierig, wenn man ihnen erklärt, daß Dr. Schwarme Manager verkaufte, daß er qualifizierte Männer – und dem Trend entsprechend nun auch vermehrt Frauen – in Industrie und Handel hin- und herschob und Führungspositionen besetzte. Vom Abteilungsleiter aufwärts vermittelte er alles, was erfolgreiche Karrieren versprach. Dies hatte den Vorteil, daß die später etablierten Herren den Juristen Dr. Schwarme in die Aufsichtsräte beriefen oder Prozesse über seine Kanzlei laufen ließen. Ein Doppeleffekt … Erna Schwarme zeigte es mit Eleganz und Juwelen. Ihre permanente Müdigkeit auf See war eigentlich das einzig Störende an ihr.
»Im Bauch eines Schiffes klingt alles anders«, sagte Dr. Schwarme und nahm einen zweiten Schluck seines ›Bourbon‹. »Wir sind ja hier unter der Wasseroberfläche. Wenn man das bedenkt, kann man leicht ängstlich werden. Stellen Sie sich den Druck vor, der jetzt gegen die Wände preßt! Ich vermute, Ihr schrecklicher Schrei war eine Stahltrosse, die irgendwo hier unten gegen die Stahlwand schlug. Wie gesagt: Es klingt hier alles anders.«
Moor nickte, trank seinen Cognac und hatte noch immer diesen markerschütternden Schrei im Ohr. »Was ist denn hier unten noch außer der Bar?«
»Laderäume, die gesamte Maschinenanlage, Wassertanks, die ganze Technik … die können nicht schreien. Es war ein anderes Geräusch.«
»Geräusch kann man das nicht nennen.« Moor bestellte noch einen Cognac und bekam jetzt wirklich einen französischen. »Sehen Sie sich das an, Herr Doktor: Da hinten in der Ecke sitzt der Blinde. Nahe an der Tanzfläche.«
»Er hört die Musik, er hört die Tanzschritte, vielleicht auch das Atmen der Tänzer und ihre Gespräche – Blinde haben ein ungeheuer entwickeltes Gehör.« Dr. Schwarme lächelte gönnerhaft. »Vielleicht riecht er auch noch das Parfüm der Damen, das muß ihm zum Glück genügen. Für Millionen würde ich nicht tauschen. Schon als ich ihn beim Ablegen auf dem Promenadendeck sah, habe ich mir gedacht: Man sollte ihn mal ansprechen, ihm zeigen, wie fröhlich es an Bord sein kann, ihn in unsere Geselligkeit hineinziehen, ihn teilhaben lassen an unserem Reiseerlebnis. Er scheint im Grunde ein fröhlicher Mensch zu sein. Ich habe ihn beobachtet: Als die Amerikaner ›Alte Kameraden‹ spielten, das uns ja allen in die Knochen fährt, hat er auf der Reling mitgeklatscht. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«
»Zweiundfünfzig.«
»Nein!« Dr. Schwarme hieb mit der flachen Hand auf den Tresen. »Dann sind wir ja ein Jahrgang. So etwas! Keeper, noch eine Runde!«
In der Bar saßen zu dieser späten Stunde noch der Weingutsbesitzer Tatarani, der wie aus einem Modeheft entstiegene de Angeli und zwei Herren, die eng beieinander auf einem Sofa hockten, sich wie Verliebte anstrahlten, ab und zu einander die Hand streichelten und Champagner tranken. Drei fröhliche Herren mit ihren Damen, in der anderen gegenüberliegenden Ecke, tuschelten und kicherten; sie schienen darauf zu warten, daß die beiden sich impulsiv umarmten und küßten. Das taten sie zwar nicht, aber sie lehnten die Schultern aneinander und verbreiteten den Eindruck großen Glücks.
Obersteward Pfannenstiel, der am äußersten Ende der Bar auf seinem Stammschemel hockte – denn kein Abend ohne Pfannenstiel im Fisherman's Club, es sei denn, er war ernsthaft krank –, hatte sich gleich, als die beiden Herren an Bord kamen, ihre Namen aus der Passagierliste geben lassen. Ihm fiel auf, daß sie Arm in Arm, wie ein
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