Promenadendeck
Liebespaar, über die Gangway gingen. Der Ältere hieß Jens van Bonnerveen und stammte aus Leiden in Holland, der Jüngere war ein Deutscher, hieß Eduard Grashorn und schien sich ab und zu richtig zu schämen. Vor allem, wenn Jens seine Hand lässig gegen Eduards Hintern preßte, zuckte er zusammen und blickte sich schnell wie ein Wiesel nach allen Seiten um.
Auf der kleinen runden Tanzfläche schoben sich die Paare hin und her. Die Juwelen der Damen funkelten. Auch die Brillantmanschettenknöpfe der Herren waren nicht zu übersehen. Dabei war es heute ein ganz normales Abendessen gewesen. Der große Auftritt war erst morgen, beim Cocktailempfang und Kapitänsdinner.
Ewald Dabrowski beobachtete hinter seiner dunklen Brille die Tanzenden und die Gäste an der Bar und an den Tischen. Keiner von denen, die jetzt hier im Fisherman's Club den Abend ausklingen ließen, hatte das Aussehen eines Juwelendiebes. Wie aber, lieber Ewald, sagte sich Dabrowski, sieht ein Juwelendieb aus? Es könnte der Herr dort an der Bar sein, der seinen dritten Whisky in kürzester Zeit trinkt – es war Dr. Schwarme –, oder der elegante Südländer – Tatarani, der Weinbauer aus der Toscana – der so höflich war, viermal mit alleinstehenden Damen zu tanzen, sogar mit einer alten, die sich sehr vorsichtig drehte, deren Gesicht dabei aber einen Ausdruck größter Verzückung annahm. Die beiden Schwulen? Unmöglich! Man wußte, daß der Dieb Carducci als Baron von Saalfelden oder als Dr. Petermann durchaus vor weiblichen Reizen kapitulierte und mehrfach mit seinen Opfern geschlafen hatte, bis er sie ausraubte. Natürlich fiel dann der Verdacht nie auf ihn, den heimlichen, feurigen Liebhaber; denn Hände, die so sinnbetörend streicheln konnten, würden doch niemals in der Lage sein, Schmuckkassetten und verschließbare Schubladen aufzubrechen.
Und dennoch hatte Dabrowski das Gefühl, daß Carducci sich hier in der Bar aufhielt. Dieses merkwürdige, prickelnde Gefühl, als würde man einen schwachen Stromkreis berühren, hatte ihm schon mehrmals geholfen oder ihn gewarnt. Es war etwas Unerklärliches in Dabrowski, das ihn selbst manchmal erschreckte. Auch jetzt war diese Ahnung wieder da, verbunden mit ganz leichten Atembeschwerden.
»Gehen wir?« fragte Dr. Schwarme am Tresen. Er blickte auf seine Uhr. »Halb vier Uhr morgens. Wo frühstücken Sie, Herr Moor?«
»Im Restaurant.«
»Das werde ich nie schaffen. Hab's nicht geschafft auf den anderen Schiffen, und hier auf der Atlantis wird's genauso sein. Wir werden nach zehn Uhr auf Deck hinter der Atlantis-Bar sitzen. Was haben Sie vor?«
»Nichts. Im Liegestuhl faulenzen. Vielleicht lesen … einen Konsalik …«
»Du lieber Himmel!« Dr. Schwarme sah Moor geradezu betroffen an. »Sie lesen Konsalik?«
»Sie kennen ihn? Wie viele Bücher von ihm haben Sie schon gelesen?«
»Kein einziges.«
»Wie wollen Sie dann darüber diskutieren?« Moor schob sich von seinem Barhocker. »Ich werde so gegen halb elf auf dem Sonnendeck aufkreuzen.«
Sie zeichneten die Rechnung mit Namen und Kabinennummer ab, schrieben das Trinkgeld dazu – am Ende der Reise mußte man dann im Zahlmeister-Sonderbüro den angesammelten Rechnungsbetrag begleichen – und verließen die Nachtbar. Im kleinen Foyer zwischen Treppe und Lift warteten sie dann auf die Liftkabine; sie schien vom höchsten Deck zu kommen, so lange dauerte es.
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?« fragte Dr. Schwarme.
»Ich verwalte Häuser.« Moor sah darin keine Lüge. Als Beamter im Grundbuchamt kannte er alle Liegenschaften, die Schulden, die Belastungen, Zwangshypotheken und Grundschulden. »Eine ganze Menge.«
»Ah. Sie sind Geschäftsführer einer Hausverwaltungsgesellschaft?«
»So kann man es nennen.«
»Interessant. Ich habe da gerade einen schrecklichen Prozeß mit einer Eigentümergemeinschaft am Hals … Da ist der Lift!«
Die Tür glitt auf, sie stiegen ein, die Tür glitt zu – und in der Sekunde, bevor sie sich völlig schloß, gellte ein bis in die Knochen dringender Schrei zu ihnen hinein. Moor lehnte sich gelbbleich an die Liftwand.
»Da …« stotterte er. »Das war er … Haben Sie ihn gehört …?«
»Das … so was … hört ja ein Tauber.« Dr. Schwarme wischte sich über das Gesicht. Welch ein Ton! Welch ein unheimlicher Schrei! Und dennoch, bei aller Unkenntlichkeit, es war etwas Kreatürliches in dem Klang. Hier schrie in höchster Not ein Lebewesen … Dr. Schwarme erinnerte sich an einen
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