Propaganda
allem die Völker der großen Demokratien Großbritannien und USA getäuscht hatten. Nachdem der Rausch des Sieges verflogen war und die Soldaten verstört oder behindert wieder nach Hause kamen (falls sie nach Hause kamen), schienen die Gründe für diesen Krieg mit einem Mal weniger klar. In zahlreich veröffentlichten Memoiren und Tagebüchern der Veteranen, in Tischreden und historischen Darstellungen kamen nun die schäbigen Details der Propaganda gegen die Hunnen ans Tageslicht.
Zunächst wurde die fatale List der Alliierten nur in linksliberalen Blättern wie der New Republic erörtert. In der Mitte des Jahrzehnts hatte die niederschmetternde Wahrheit über die Kriegspropaganda aber auch rechtskonservative Blätter wie die Saturday Evening Post erreicht. »Propaganda« war von nun an in der gesamten Presselandschaft etwas Verpöntes . Das Schlimmste daran war, dass Propaganda nicht mehr von einer dunklen fremden Macht ausgeübt wurde, die es auf unsere unschuldige Kultur abgesehen hat, wie etwa die Preußen oder die Kommunisten, sondern dass es die Propagandisten unserer eigenen Regierung waren. Jetzt kam ans Licht, dass verschiedene US-amerikanische Interessen zusammengespielt hatten, um das Volk grundlos in ein Gemetzel nach Übersee zu schicken. Von den 20er-Jahren bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde das Wort »Propaganda« noch abschätziger gebraucht, weil es jetzt nicht mehr nur die Lüge, sondern auch noch den Verrat beinhaltete.
So muss Bernays’ Haltung 1928, als sein Buch erschien, der Öffentlichkeit zumindest schrullig erschienen sein. Im selben Jahr erschien ein weiteres, ganz anderes Buch zum Thema Propaganda: Falsehood in Wartimes , die Lüge in Zeiten des Krieges, verfasst vom britischen Parlamentarier Arthur Ponsonby. Obwohl nichts weiter als eine Aneinanderreihung sämtlicher Falschbehauptungen der alliierten Regierun-gen, 1 7 sorgte das Buch bei seinem Erscheinen in Großbritannien und in den USA für einiges Aufsehen. Bernays' durchtriebenes Propaganda wurde nicht im selben Maße beachtet wie Ponsonbys sehr einfaches Buch, das aber als finaler Urteilsspruch im Verfahren »die Öffentlichkeit gegen die Zunft von Bernays« aufgefasst wurde.
Bernays war dennoch kein Verlierer in diesem Spiel, auch wenn das Wort Propaganda bis heute mit einer negativen Konnotation behaftet bleibt. Bernays’ optimistische Sicht der Propaganda und noch mehr das Sophistische seiner Argumentation brachten ihm zahlreiche verächtliche Schmähungen von denjenigen ein, die von den hinterlistigen und geschmacklosen Zielen der Konzernpropaganda entsetzt waren. Es gab in den 20ern und 30ern viel mehr solche Kritiker als heute, und ihre Kritik war öffentlich zugänglicher.
Angesichts von Bernays’ selbst formulierten Prioritäten wird ihn diese Kritik jedoch nicht verletzt haben. Das Publikum, das ihm am wichtigsten war, war nicht die Öffentlichkeit und ganz sicher nicht diese Intellektuellen, die seine Kunst an den Pranger stellten. Er schrieb für jene, die seine Kunst zu schätzen wussten und es sich leisten konnten, sie für sich arbeiten zu lassen. 1 8 Auch in der Phase, in der die Menschen der Propaganda verständlicherweise immer stärker misstrauten, wurde Propaganda immer mächtiger, und die, die sie bezahlten, waren begeistert von ihren Erfolgen. »Tatsächlich steigt der Einsatz von Propaganda in dem Maße«, schreibt Bernays in Propaganda, »wie das Zutrauen in ihre Fähigkeit, Öffentlichkeit herzustellen, wächst«. Dass Propaganda selbst diejenigen leicht verführt, die die größte Abneigung ihr gegenüber empfinden, ist ein Paradoxon, das Bernays vollständig überblickte; und eines, das wir zumindest versuchen müssen zu verstehen, wenn wir die Welt verändern wollen, die Edward Bernays zusammen mit anderen für uns geschaffen hat.
Mark Crispin Miller, New York City, Juli 2004
Mark Crispin Miller ist Professor für Medienökologie an der New York University (NYU's Steinhardt School of Culture)
Zum Autor
1891 in Wien geboren und im Jahr darauf mit den Eltern in die USA ausgewandert, gilt Edward Bernays als Vater der Public Relations. Bernays machte nicht nur das Werk seines Onkels Sigmund Freud populär, er bediente sich auch bei der Psychoanalyse und entwickelte auf ihrer Basis Methoden zur Steuerung der öffentlichen Meinung. Seine Strategien sind zum Standardrepertoire der PR-Branche geworden. Bernays selbst war unter anderem für US-Regierungen und die
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