Propaganda
auszulösen, der weltweit Mord- und Totschlag mit sich brachte – eine Aussicht, die dieselben Massen eigentlich hätte abschrecken müssen, weil er die meisten, die tatsächlich an diesem Krieg teilnahmen, zerstörte. Der anglo-amerikanische Hang, die »Hunnen« zu dämonisieren und den Krieg zu einem Wettstreit zwischen atlantischer Kultur und preußischer Barbarei zu überhöhen, hinterließ bei vielen einen derart starken Eindruck, dass sich die Welt der Politik und Wirtschaft auf immer veränderte.
Seit dem Ersten Weltkrieg ist die »öffentliche Meinung« etwas, das gesteuert werden muss – und zwar von Fachleuten, die für die Ausübung dieses so wichtigen Handwerks ausgebildet werden.
Der Krieg verbesserte die Lage derer, die ihr Leben mit dem Überreden der Öffentlichkeit verdienen. Lange Zeit hatten die Mächtigen in Industrie und Handel die Werbetreibenden für Scharlatane gehalten, für Quacksalber, die gut genug waren, um Heilmittelchen und Zigaretten zu verkaufen. Den Verkauf von Dienstleistungen oder Produkten nahm jeder Boss, der halbwegs bei Verstand war, selbst in die Hand. Das neue Feld der Public Relations litt außerdem an dem schlechten Ansehen, das es bei den oberen Klassen der Gesellschaft genoss. Für die oberen Zehntausend war die Arbeit dieser Werber bis zum Ende des Ersten Weltkriegs unweigerlich mit dem etwas anrüchigen Geschäft der Broadway-Bühnen verbunden.
Die groß angelegte Kampagne der Alliierten, die Demokratie zu feiern (oder zu verkaufen), war dermaßen erfolgreich, dass sie den Propagandisten, als der Krieg zu Ende war, die Möglichkeit bot, eine Reihe unterschiedlicher Öffentlichkeiten zu bearbeiten – zugunsten solcher Unternehmen wie General Motors, Procter & Gamble, John D. Rockefeller oder General Electric.
Und so herrschte zwischen dem Vertrag von Versailles und dem Crash im Jahr 1929 große Euphorie im boomenden Feld der Friedenszeiten-Propaganda. Die Werbeleute und Publizisten der neuen Generation waren nicht länger Hausierer, sondern Profis, und sie verkauften ihr Wissen an das große Business mit Büchern, Essays, Reden und Events, in denen sie die wunderbare Wirkung der Propaganda oder Öffentlichkeitsarbeit, wie sie ihre Tätigkeit immer häufiger nannten, anpriesen – auch dies Propaganda, um die eigene Zunft voranzubringen. Und die großindustrielle Klientel fing an, diesen Veröffentlichungen zu glauben. Dem Selbst-ist-der-Mann-Evangelium der Propagandisten (viele von ihnen Pfarrerssöhne) zufolge leistete ihre revolutionäre »Wissenschaft« weitaus mehr, als nur ein paar Leute reich zu machen. Nicht anders als in Kriegszeiten sollte die Propaganda die Menschen in Aufregung versetzen und den Prozess der Zivilisation vorantreiben, indem man beispielsweise Immigranten und anderen Mitmenschen mit bescheideneren Fähigkeiten beibrachte, durch cleveren Konsum etwas aus sich zu machen und zu glücklichen und vorzeigbaren Amerikanern zu werden.
Die gesamten 20er-Jahre über betrieben die Advokaten der Propaganda diese Imagepflege des neuen Berufsstandes, und Propaganda wurde immer mehr zur neuen Kraft des Fortschritts, mit der jedes Leben besser und jedes Heim schöner werden sollte. Dieser geradezu religiöse Touch hat die Zeiten überlebt in Büchern mit Titeln wie Business the Civilizer von Earnest Elmo Calkins aus dem Jahr1928, was man etwa mit »Die zivilisatorische Wirkung der Wirtschaft« übersetzen könnte. Hierher gehören aber auch der Bestseller in Erzählform wie The Man Nobody Knows von Bruce Barton von 1925 sowie eine ganze Reihe weniger herausragender Publikationen, die sich alle unter der Rubrik Propaganda-Propaganda zusammenfassen ließen. Nicht anders als ihrem Prototypen aus Kriegszeiten war auch der Nachkriegspropaganda ein ungeheurer Erfolg beschieden. Es gelang ihr, nicht nur Geschäftsleute, sondern auch Journalisten und Politiker davon zu überzeugen, dass »die Herstellung von Konsens«, wie Walter Lippmann das so trefflich auf den Punkt gebracht hatte, eine Notwendigkeit für den gesamten öffentlichen Raum war. 4
Trotz der Erfolge lief in der Eigenkampagne von Anfang an einiges schief. Der eigentliche Name des Produkts, Propaganda, machte Schlagzeilen in den Medien wie in privaten Gesprächsrunden und wurde – Ironie des Erfolges – immer mehr zum Schimpfwort. Dieselbe Kriegsdynamik, die den Begriff aus dem Schattenreich des Unbekannten geholt und zu einem Wort des täglichen Gebrauchs gemacht hatte, hatte aus der
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