Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
Vom Netzwerk:
hatte schon bemerkt, dass sie zurückgeblieben waren. Sein Gesicht färbte sich rot, als gösse man ihm Wein in den Kopf, und der Anblick hätte Ruben normalerweise zum Lachen gereizt, doch jetzt hatte er Angst um Henri. Der Kaminkehrermeister kehrte um und packte Henri am Kragen.
    »Dir wird gleich noch ganz anders werden, Bursche, wenn du hier noch länger herumgaffst!« Dabei zerrte er Henri mit sich, der verzweifelt versuchte, sich auf den Füßen zu halten. Als Givret ihn unvermittelt losließ, stürzte er und schürfte sich die Knie auf. Ruben war sofort bei ihm und half ihm hoch. Er sah die Tränen in den Augen seines Freundes aufsteigen und flüsterte: »Nicht heulen!« Henri presste die Lippen aufeinander und nickte, dann folgten sie schweigend ihrem Lehrherrn.
    Sie liefen sicher noch eine halbe Stunde, und Ruben schmerzten bereits die Füße von dem ungewohnten Straßenpflaster, als Didier verkündete, sie seien nun in St. Germain, wo die reichen Leute wohnten. Ruben war erstaunt, denn die meisten Fassaden wirkten nicht besonders herrschaftlich.
    Givret klopfte an die eisenbeschlagene Seitentür eines Sandsteingebäudes. »Wir sind zu Madame de Beaumont bestellt«, erklärte er wichtigtuerisch, als färbte der klangvolle Name seiner Kundschaft auf ihn ab. Ein Dienstmädchen in weißer Schürze öffnete ihnen und kicherte, als Didier sie im Vorbeigehen in die Wange kniff. Während die Jungen hinter Givret eine schmucklose Treppe hinaufstiegen, schärfte er ihnen ein, wie sie sich zu verhalten hatten: »Niemals jemanden ansehen, niemals sprechen, es sei denn, ihr werdet gefragt. Wenn ihr unangenehm auffallt, werde ich dafür sorgen, dass ihr eine Woche nicht mehr laufen könnt.«
    Derart eingeschüchtert erreichten sie das Ende der Treppe und betraten hinter ihrem Meister die Küche des Hauses. Ruben, dessen Magen so leer war, dass er sich wie eine getrocknete Pflaume anfühlte, wurde fast ohnmächtig von den köstlichen Gerüchen, die die Luft durchzogen. Obwohl er nicht einmal wusste, von welchen Speisen sie stammten, reagierte sein Körper darauf wie ein hungriger Hund, dem man einen Schinken hinwirft.
    Er sah zu Henri, dem es nicht anders erging. Auch er zitterte vor Hunger und Verlangen. Sie kehrten in die Wirklichkeit zurück, als Didier großzügig Kopfnüsse austeilte und Henri wortkarg den Küchenkamin zuwies, dessen Feuerstelle so hoch war, dass der schmächtige Junge aufrecht darin stehen konnte. Ruben musste Givret begleiten. Nachdem sie die Küche verlassen und einen düsteren Gang durchschritten hatten, stiegen sie eine schmale Dienstbotentreppe hinauf und betraten durch eine Seitentür einen Saal von einer Pracht, die Ruben sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können: Die Wände waren mit vergoldeten Stuckornamenten überzogen, und die Decke schmückte ein Bild, das ihn geradewegs in den Himmel hinein sehen ließ, wo Damen und Herren in leuchtend bunten Gewändern auf Wolken saßen. Der Boden allerdings war mit Leintüchern ausgelegt, und auch die Möbel trugen weiße Überwürfe. Weshalb, sollte er bald herausfinden.
    Die Feuerstelle des Saals war kaum kleiner als die in der Küche. Ruben wagte nicht, die weiße Marmoreinfassung zu berühren, obwohl er gerne gefühlt hätte, wie glatt der Stein war. Givret knurrte etwas und zeigte auf den Kamin. Ruben kletterte hinein, und sofort quoll flaumige weiße Asche zwischen seine Zehen. Sie war noch warm, beinahe heiß, sodass er von einem Fuß auf den anderen treten musste, um die Hitze ertragen zu können. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in eine Schwärze, die keine Grenzen zu haben schien. Dort hinauf sollte er?
    Schon drückte Givret ihm ein gebogenes Stück Eisen in die Hand. »Das ist die Raspel«, erklärte er knapp. »Damit schabst du den Ruß von den Wänden. Aber gründlich, sonst schlage ich dich krumm und bucklig. Wenn du oben bist, streckst du den Daumen aus dem Kamin, damit Didier sehen kann, dass du alles gemacht hast.«
    Der Gedanke, den dunklen, schmalen Schacht emporklettern zu müssen, trieb Ruben kalten Schweiß auf die Stirn. In dieser schwarzen Enge würde er ersticken! Doch der Meister ließ ihm keine Zeit zu protestieren, sondern reichte ihm einen kleinen Sack, den er sich als Atemschutz über den Kopf ziehen musste. Ruben keuchte, schon jetzt bekam er kaum noch Luft.
    »Los, rauf mit dir!« Givret trat hinter ihn, fasste ihn um die Hüften und hob ihn hoch. Ruben strampelte einen Augenblick in

Weitere Kostenlose Bücher