Prophezeiung der Seraphim
noch ein blasser Nebel in der Luft hing, und auch der verwehte in einem Luftzug. Ruben drückte sich unwillkürlich an die Wand. Er blinzelte mehrmals, aber die Katze war einfach verschwunden.
»Was ist das für ein Teufelsvieh?«
»Nun sei nicht töricht«, sagte Nicolas herablassend. »Sie ist eine Wächterkatze, das ist alles.«
»Das klingt ziemlich teuflisch, wenn du mich fragst«, erwiderte Ruben. Er schämte sich, dass er sich seinen Schreck hatte anmerken lassen.
»Songe kann auf diese Art von Ort zu Ort wechseln«, erklärte Julie. »Und sie spricht auch mit mir, genauso wie ein Mensch – oder zumindest beinahe.«
Sie lächelte Ruben an, und obwohl er gerne zurückgelächelt hätte, saß in ihm noch ein Rest von Groll, weshalb er seine Lippen zusammenpresste und an Julie vorbeistarrte.
»Ich muss mich eben erst an all dieses Magiezeug gewöhnen.« Er klopfte sich den Steinstaub von der Hose. Gebannt sah er zu, wie die Katze wieder erschien.
Nch kurzem Schweigen sagte Julie: »Das Brunnenhaus steht etwas von einer Mühle entfernt. Der Schlüssel steckt nicht im Schloss. Wir kommen hier nicht heraus.«
»Dann hoffe ich sehr, dass diese Cherubim uns nicht gefolgt sind«, warf Fédéric ein, und im Stillen stimmte Ruben ihm zu. Wenn sie hier entdeckt wurden, waren sie den Ungeheuern ausgeliefert.
»Ich schlage vor, wir bleiben hier und hoffen, dass morgen früh aufgesperrt wird«, sagte Julie. »Zurück in die Katakomben zu gehen, hätte wenig Sinn.«
Das war natürlich das Vernünftigste, aber Ruben ärgerte sich doch, dass Julie ihm nur die Tatsachen mitteilte, so, als könnte sie alleine entscheiden. Fédéric und Nicolas schien das nichts auszumachen. Ruben nickte steif.
»Versuchen wir, ein bisschen zu schlafen«, fuhr Julie fort, und Ruben murmelte – leise genug, dass sie es nicht hören konnte: »Darauf wäre ich nie gekommen.«
Er ließ sich in die Hocke rutschen und schlang die Arme um seinen Körper. Irgendwann dämmerte er tatsächlich ein, doch er war sich die ganze Zeit über der groben Mauer in seinem Rücken bewusst und hörte die Geräusche der anderen durch den dünnen Schleier seines Schlafes.
Dann sickerte Tageslicht durch seine Augenlider, und als er sie aufschlug, sah er durch das Loch im Dach des Brunnenhauses blauen Himmel. Ruben richtete sich auf und streckte seinen schmerzenden Rücken. Sein Blick begegnete dem von Nicolas, der wie eine schöne Statue reglos auf der Brunneneinfassung saß. Ruben wusste nicht, was er von ihm halten sollte. Offensichtlich war er in Julie verliebt, aber ging er tatsächlich so weit, seine Mutter zu verraten? Ruben schien es besser, ihm nicht zu trauen.
»Mir tut jeder Knochen weh!«, sagte er schließlich, um das unbehagliche Schweigen zu beenden. Er stand auf und ächzte.
»Vermisst du bereits das weiche Bett im Haus meiner Mutter?« Nicolas bleckte kurz die Zähne, was wohl ein Lächeln darstellen sollte.
Sie verstummten, als sich draußen Schritte näherten. Jemand hustete röchelnd und spie aus, dann klapperte es und ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt. Nun waren auch Julie und Fédéric wach und die vier Eingesperrten richteten sich auf, als die Tür nach innen schwang und helles Morgenlicht sie blendete. Im Eingang stand ein alter Mann, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten. Vor Erstaunen riss er die Augen auf, dann quiekte er und hinkte so schnell er konnte davon.
Ruben verließ das Brunnenhaus als Letzter und atmete tief ein. Die Morgenluft legte sich kühl auf sein Gesicht, es musste noch früh sein. Wie herrlich es war, keine Mauern mehr um sich zu haben und den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen! Nachdem sie sich alle ausreichend gestreckt und gereckt hatten, versuchten sie herauszufinden, wo sie sich befanden.
In der Richtung, in die der alte Mann verschwunden war, sahen sie eine Windmühle und dahinter, in weiter Ferne, die Häuser von Paris.
»Ich glaube, wir sind in der Nähe von Montrouge«, stellte Nicolas nach einer Weile fest. »Ich bin hier schon vorbeigekommen, wenn wir auf dem Weg nach Plessis waren. Das bedeutet, wir sind südlich von Paris.«
Julie zupfte an ihrer Unterlippe und drehte sich langsam um sich selbst. Dann ließ sie die Arme hängen und sah Nicolas an. »Wir müssen uns Richtung Westen halten. Ohne Karte wird das schwierig.«
Ruben ärgerte sich, dass die anderen sich über seinen Kopf hinweg beratschlagten, dass aber niemand sich die Mühe machte, ihn nach seiner Meinung zu
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