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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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gemeinsam überstehen?
    Sicher, er hatte Entscheidendes weggelassen, nämlich die Information, dass Prometheus das Ende praktisch jeglicher Regenfälle in der Äquatorialzone vorhersagte, aber würden die Menschen sich mit einer Versicherung zufriedengeben, es werde schon alles gut gehen, wenn man die klügsten Köpfe der Welt nur machen ließe? Die im Westen, im Norden?
    Würden die Menschen im Süden, in Afrika, in Asien, in Mittel- und Südamerika, sofern die Nachricht sie überhaupt erreichte, nach Miletts Rede nicht erst recht genauer erfahren wollen, was ihnen drohte? Und würden sie diese Informationen nicht genau in den Quellen finden, von denen Milett sie fernhalten wollte, bei den Kommandos, den Sotaventos, im Democratic Underground, bei Youtube?
    Milett erklärte seinen gebannt lauschenden Zuhörern, das Phänomen, dessen unfreiwillige Zeugen sie gerade wurden, sei ein natürliches Phänomen, kein von Menschen gemachtes, allerdingshätten sie selbst es versäumt, rechtzeitig Vorkehrungen für diesen Ernstfall zu treffen. Schuldzuweisungen seien indes fehl am Platze, denn in der Lage, in der sie sich jetzt befänden, nütze es niemandem mehr, vergangene Fehler den Amerikanern, Chinesen oder generell den die Erde bewohnenden Allesfressern anzukreiden. Ein Temperatursprung wie der, der ihnen bevorstand, sei erdgeschichtlich betrachtet nichts Ungewöhnliches, habe allerdings auch schon in der Vergangenheit Arten und ganze Völker ausgerottet. Das drohe auch ihnen, allerdings seien sie im Unterschied zu Dinosauriern oder Atlantern in der Lage, ihr Schicksal zu wenden: das endgültige Abschmelzen der Polkappen sowie die rasche Erwärmung zu verhindern und sowohl in den nördlichen Breiten als auch in Afrika das Schlimmste abzuwenden.
    Mehrere Journalisten unterbrachen den Nobelpreisträger fast gleichzeitig, mit der gleichen Frage, in diversen Sprachen: »Wie?«
    Aber Milett gedachte nicht, das im Detail zu beantworten. Er bat die Versammelten um etwas Geduld. Sowie darum, die entsprechenden Maßnahmen zu unterstützen, schreibend und berichtend zu begleiten, im Wissen um den Ernst der Lage.
    »Wir sind«, sagte er abschließend, »zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte in der glücklichen Position, nicht mehr alles als gottgegeben und unveränderlich hinnehmen zu müssen, was die Natur vorsieht. Wir sind weit gekommen, naturwissenschaftlich wie technisch. Nun wird sich zeigen, ob wir auch zu einer gemeinsamen Anstrengung bereit sind. Das Wohl und Wehe der Menschheit hängt nun an unserer Solidarität, unserem Willen zur Veränderung und zum gemeinsamen Vorgehen. Die Natur, die die Romantiker unter uns Mutter nennen oder Gaia, sieht unsere Auslöschung vor, milliardenfach. Wer hier nicht opponiert, wer hier nicht sagt: Menschen kommen vor der Natur, der denkt und handelt inhuman. Wer auf diesem Weg nicht auf unserer Seite ist, der Seite der Menschen, ist unser Gegner, unser Feind. Bis diese Krise überstanden ist, wird es nicht heißen: Wir müssen die Natur schützen. Es wird stattdessen heißen: Wir müssen und werden uns selbst schützen, vor der Natur, uns und unsere Mitmenschen.«
    Und mit diesen Worten nickte er seinen Zuhörern noch einmal zu und trat vom Rednerpult zurück, begleitet vom aufbrandenden Stimmdurcheinander der Journalisten. Aber Milett hob bloß beide Hände, dezent abwehrend, trat vom Podest herunter und ließ sich von seinen Leibwächtern durch die Schar der Frager zurück in den Flur geleiten, ohne auch nur eine einzige Frage zu beantworten.
    Er schwebte an Mavie vorbei, fünf Meter von ihr entfernt, im Meer aus Köpfen, und sie stand noch immer stocksteif zwischen den aufgeregten Menschen, mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Seine letzten Worte hatten sie auf fatale Weise an George Bushs legendäre Rede nach den Anschlägen vom 11. September erinnert. Wer nicht auf unserer Seite steht, steht auf der Seite der Terroristen.
    Was, fragte sie sich, wollte Milett? Einen Krieg gegen den Terror der Natur? Er hatte geklungen wie ein Politiker, in jeder Hinsicht, und er hatte seine Worte offensichtlich mit Bedacht gewählt. Vieles war unklar geblieben, vor allem aber war unklar geblieben, wer »wir« sein sollte und wer »uns« anführen sollte. Allerdings hatte der Nobelpreisträger nicht geklungen, als wolle er das anderen überlassen. Er selbst schien ja großartige Lösungen für alle Probleme parat zu haben, auch wenn er offenkundig nicht bereit war, diese Lösungen im

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