Prophezeiung
und sprach in den folgenden Minuten nicht mehr nur zu den Journalisten im Raum, sondern persönlich zu jedem einzelnen der Millionen Menschen, die ihm zusahen und zuhörten.
Mavie fühlte sich wie hypnotisiert, ebenso wie alle anderen Gäste, die um sie herumstanden, mucksmäuschenstill, mit angehaltenem Atem.
»Eines ist hierbei von besonderer Bedeutung für Sie, die Sie jetzt zuhören, ganz gleich, wo Sie sich auf unserem gemeinsamen Heimatplaneten befinden«, sagte Milett. »Bei allem, was ich im Folgenden darlegen werde, besteht Anlass zu Hoffnung, nicht zu Panik. Wir stehen vor einer großen Aufgabe, aber nicht vor einer unlösbaren Aufgabe. Die Horrorszenarien, die Ihnen von verschiedenen Seiten präsentiert werden, sind nicht nur unvollständig, sie unterschlagen auch, dass diese Welt nicht hilflos, wehrlos ihrem Untergang entgegengehen wird. Im Gegenteil.Wir verfügen über die Mittel, das Wissen und die Möglichkeiten, die uns von der Natur gestellte Aufgabe zu lösen. Das haben wir in der Vergangenheit getan, es ist Grundlage von allem, was wir unsere Zivilisation nennen, und wir werden diese Kräfte wieder mobilisieren.
Verschließen Sie Ihre Ohren gegenüber dem billigen Geschrei der Kassandras, die auf obskuren Wegen versuchen, diese Welt in den Abgrund zu reißen. Verschließen Sie Ihre Herzen, wenn Sie neue Horrormeldungen von irgendwelchen Kommandos empfangen, von angeblichen Weltverbesserern, die unter abstrusen Namen kein anderes Ziel verfolgen als die Vernichtung der Welt und all dessen, was uns lieb und teuer ist. Schenken Sie diesen Menschen kein Gehör. Es sind Menschen, denen es an allem mangelt, was jetzt von Bedeutung ist. An Wissen, an Verantwortungsbewusstsein und an Möglichkeiten. Bei allem, was uns bevorsteht: Schenken Sie diesen Rufern keinen Glauben. Ihnen liegt lediglich an der Zerstörung der Welt. Mir liegt an ihrer Rettung, und diese Rettung ist möglich. Sofern wir zusammenstehen.«
In Mavies Ohren hallte das, was er sagte, dumpf nach. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es in Thilos Ohren klang. Erst recht in denen von Diego Garcia. Glücklicherweise beließ Milett es bei der grundsätzlichen Kritik und holte nicht noch weiter aus.
Stattdessen fasste er zusammen, was der Welt bevorstand, und je länger er sprach, desto enger schien es in der großen Eingangshalle zu werden, desto weniger Luft schien zur Verfügung zu stehen, obwohl durch die offenen Fenster und Türen mehr als genug Sauerstoff für alle Anwesenden hereintransportiert wurde.
Aldo und Milett hatten eine exzellente Rede geschrieben. Der Nobelpreisträger verschonte sein Publikum mit Details zu den einzelnen Zyklen und beließ es bei einer kurzen Zusammenfassung der Faktoren, die dem zuverlässigen Programm, das er ebenfalls nicht benannte, als Grundlage der Prognose gedient hatten. Die Fakten sprachen für sich, die Prognose hatte sich bereits in den vergangenen Monaten und Wochen als wahr und absolut zuverlässig erwiesen.
Die Prognose für die nächste Zukunft fasste er kurz und drastisch zusammen, vermied es aber geschickt, Horrorszenarien zu entwickeln. Wassermangel im Süden, Wasser im Norden. Herausforderungen für die Staatengemeinschaft, aber auch für die Länder, Kommunen, ja, für die jeweils unmittelbare Nachbarschaft. Es würde Engpässe geben bei der Versorgung, vermutlich musste man selbst in Europa und in den Vereinigten Staaten mit häufigeren Stromausfällen rechnen, aber er malte ein insgesamt erträgliches Bild der Folgen und betonte gebetsmühlenartig immer und immer wieder, all dies sei beherrschbar. Sofern man zusammenstünde. Sofern man gemeinsam interveniere.
Aber je länger er redete, desto unwohler fühlte sich Mavie. Denn was Aldo und Milett bei der Arbeit an der beeindruckenden Rede allem Anschein nach allmählich aus dem Auge verloren hatten, war der Süden. Fast alles, was Milett sagte, diente der Beruhigung der Menschen im wasserbedrohten Norden, als vertrauensbildender Vortrag und, wie sie vermutete, als Vorbereitung eines Maßnahmenkatalogs, den er sich offenbar bereits größtenteils zurechtgelegt hatte – aber wo blieb der Süden? Wie würde das, was er sagte, bei denen ankommen, die sich keine Sorgen um eine temporär unterbrochene Strom- oder Lebensmittelversorgung infolge des allzu vielen Regens zu machen brauchten, sondern um das Leben ihrer Kinder infolge fehlenden Regens? Genügte es, dass Milett diesen Menschen versicherte, gelegentliche Engpässe werde man
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