Prophezeiung
Konzept vom Hier und Jetzt haben und nie haben werden? Wie irre ist …«
»Hier und jetzt, Mann, geht es nicht um irgendein Konzept, sondern um Berechnungen, die jedes Menschenhirn überfordern.«
»Richtig«, nickte Beck, »nur fehlt hier vor lauter Begeisterung was ganz Entscheidendes, nämlich eine Überprüfung, eine Qualitätskontrolle. Eisele glaubt Gerrittsen, ist überzeugt davon, dass die Prognose stimmt, und handelt danach. Schweigt, gibt die Information als gesichert weiter und bereitet irgendwas vor. Und lässt Leute killen, die ihm in die Suppe spucken wollen. Was dazu führt, dass die potenziellen Suppenspucker genau das als Beweis betrachten: Die Prognose muss haargenau stimmen. Oder besser, die Prophezeiung, denn genau damit haben wir es zu tun, und zwar mit einer der besseren, einer sich selbst erfüllenden. Hier fehlt was, Paulina: die Überprüfung von Gerrittsens Formel.«
»Die du für falsch hältst? Noch mal: Guck aus dem Fenster.«
»Ja, ich seh’s, Mistwetter. Aber das heißt nicht, dass die Prognose auch morgen noch stimmt. Und dass Gerrittsen nicht rangeht, spricht Bände.«
»Wir können die Welt nicht untergehen lassen, nur weil uns zwei Prozent zum hundertpozentigen Beweis fehlen.«
»Uns fehlt die ganze Grundlage, verdammt. Blind draufloshelfen ist keine gute Idee. Als würdest du einen Ertrinkenden mit’nem Feuerlöscher absprühen. Und wir reden hier über einen sehr großen Feuerlöscher.«
Sie schüttelte den Kopf. »Glaub nicht, dass ich dir noch folgen kann.«
»Ich habe keine Ahnung, was Milett vorhat, aber soweit ich mich erinnere, hat der Mann noch nie klein gedacht, sondern immer ganz groß. Und das bedeutet weltverändernd, wortwörtlich, das bedeutet Geoengineering. Im großen Stil. Und davor hab ich Schiss, erst recht, wenn die Prämissen falsch sind.«
Sie packte seinen Arm, ihr Griff war schmerzhaft fest, ihr Gesicht war seinem plötzlich sehr nah. »Schluss, Thilo. Mach dich nützlich. Hilf Diego und den Jungs, den neuen Clip zu machen, such die Knaller aus den Daten raus, die richtig was bewegen. Vergiss diesen Wichser und seine Freundinnen, ist doch scheißegal, ob der tot ist oder bloß hacke, Thilo, wir haben was zu tun. «
Sie ließ seinen Arm los und warf ihn förmlich zurück auf den Tisch, dann erhob sie sich mit einem genervten Schnauben und stampfte davon, in die Kommandozentrale, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
Und Beck blieb sitzen. Biss von seinem Brötchen ab und schaute durch die versammelten Weltenretter förmlich hindurch. Es hatte einfach keinen Sinn. Seine Schwester begriff nicht. Nichts. Niemand begriff irgendwas.
Die Tatsachen sprachen für sich. Es regnete. Ununterbrochen. Im Süden war es trocken. Ununterbrochen. Die Sonnenaktivität hatte zugenommen. Ohne Frage. Die Prognose stimmte. Kein ernst zu nehmender Experte zweifelte daran. Die Fakten belegten die Richtigkeit des Modells. Ende der Durchsage.
Beck kam sich vor, als säße er im Auto, hörte die Durchsage im Radio: »Auf der A7 kommt ihnen ein Geisterfahrer entgegen« und antwortete empört in Richtung seiner eigenen Windschutzscheibe: »Einer? Tausende!« Aber auch wenn alles dafür sprach, dass er der Geisterfahrer war, konnte er nicht aus seiner Haut. Er war und blieb Wissenschaftler . Spielverderber. Ameisenfriseur. Spaßbremse.
Seufzend wählte er Agneta Olsens Nummer.
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34 Mavie ärgerte sich über sich selbst. Donna Harris war zwar am Vorabend nicht mehr lange geblieben, aber sie selbst hatte schon in diesem ersten Gespräch zu viel gesagt und vor allem zu viel und zu schnell getrunken. Nach dem zweiten Glas war ihr klar geworden, dass sie den Wodka nicht vertrug, schon gar nicht auf leeren Magen, nach dem dritten Glas hatte sie die verbliebenen Gäste stinklangweilig gefunden, denn es waren nur Miletts persönliche Freunde und Verehrer geblieben, während die Journalisten sich fast unmittelbar nach der Rede an ihre Laptops gemacht hatten. Und Miletts Freunde waren nun einmal ganz und gar nicht ihr Fall. Sondern Philipps. Der vertrug nämlich nicht nur Wodka, sondern auch wohlhabenden Small Talk unter Männern und Frauen. Golf, Pferde, Jachten, BRIC -Fonds, die emerging markets und »gutes Personal ist schwer zu kriegen«.
Um halb elf hatte sie im Bett gelegen, einem schlingernden Bett, und war nach und nach weggedämmert, unzufrieden, genervt, mit dem sicheren Gefühl, völlig fehl am Platze zu sein. Das alles war nicht ihre Welt. Und Milett
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