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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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lautlos Milchkaffeeschalen und Croissants ab. Reveilliere dankte dem Butler, der ebenfalls vollkommen übernächtigt aussah und sich mit einer angedeuteten Verbeugung lautlos wieder entfernte. Reveilliere rieb sich erneut über die Augen, ließ sich gegen die Lehne des Sofas sinken und breitete die Arme nach links und rechts aus. »Wir fahren nach Genf, heute Abend oder morgen früh.«
    »Um was zu tun?«
    »Um den europäischen Krisenstab zu leiten.«
    »Oh.«
    »Ja. Lee war keine fünf Minuten von der Bühne herunter, als Sarkozy angerufen hat. Cameron war etwas langsamer, Lee musste ihn zurückrufen, nach dem Gespräch mit Monsieur le President.«
    Mavie nahm ihre Kaffeetasse und trank einen Schluck. Sie wartete. Reveilliere ließ sie einen belustigten Laut hören, dann fuhr er fort. »Lee ist, weiß Gott, kein einfacher Mensch, aber man mussihm zugutehalten, dass er weiß, wie man Wirkung erzielt. Sarkozy hat ihn aufgefordert, umgehend nach Paris zu reisen, weil er dort den Krisenstab einrichten wolle, ebenso umgehend, und Lee hat abgelehnt, sofort, mit der Begründung, er sei weder Beamter noch Politiker und an so etwas nicht interessiert. Worauf Sarkozy ihn höflich, aber bestimmt daran erinnert hat, er, Lee, sei Engländer und nur zu Gast in Frankreich, worauf Lee einen fürchterlich gut gespielten Anfall bekam und drohte, auch diesen unerhörten Erpressungsversuch an die ganz große Glocke zu hängen, worauf die beiden sich dann kurz angeschrien haben – um sich am Ende wie zwei zivilisierte Silberrücken zu einigen. Lee wird den Stab leiten, wie Sarkozy es wollte, aber nicht in Paris, sondern in Genf, wie Lee es wollte. Ein Kompromiss. Sarkozy bekommt Lee, Lee bekommt Genf. Nur, dass Lee von Anfang an die Kommission leiten wollte.«
    »Verstehe«, sagte Mavie.
    »Lee ist wirklich kein guter Demokrat«, sagte Reveilliere.
    »Den Eindruck habe ich auch«, nickte sie. »Aber solange es zu etwas Gutem führt …« Sie vollendete den Satz nicht, sie ließ ihn mit einem Fragezeichen ausklingen.
    »Hoffen wir es«, sagte Reveilliere. »Haben Sie den neuen Film Ihrer Freunde gesehen?«
    Sie runzelte die Stirn. »Nein. Welcher Freunde?«
    »Diego Garcia. Ist seit drei Uhr heute Morgen im Netz, sehen Sie sich das an, aber frühstücken Sie vorher zu Ende. Starker Tobak. Sehr gut gemacht, wie schon der erste Teil dieser SOS -Reihe, aber in meinen Augen mit potenziell verheerender Wirkung. Sterbende schwarze Kinder, sengende Sonne, wolkenloser Himmel. Und dazu Bilder aus dem reichen Norden, mit etwas Regen – und einigen der Partys, die man dort in den ersten Tagen gefeiert hatte, unter bunten Regenschirmen. Junge fröhliche Menschen, die mit Blick auf die anschwellende Themse oder die Elbe anstoßen, mit Champagner.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Mavie.
    Reveilliere nickte. »Doch. Sehen Sie es sich an. Kontraproduktiv. Fast wortlos, denn die Bilder sprechen ihre eigene eindeutige Sprache. Und ich bezweifle, dass wir dem etwas entgegenzusetzen haben. Aldo ist ein Genie im Umgang mit Sprache, aber Sprachekönnte sich als völlig untaugliches Mittel erweisen. Erst recht, wenn es darum geht, unsere Maßnahmen zu erklären, denn die Hintergründe sind ja nicht einfach zu vermitteln.«
    »Das wäre meine nächste Frage«, sagte Mavie. »Welche Maßnahmen?«
    Reveilliere holte tief Luft und wiegte den Kopf, einmal nach links, einmal nach rechts. »Das war Gegenstand unserer Nachtsitzung. Ich bin durchaus nicht immer Lees Meinung, und ich gestehe, dass ich auch in diesem Fall weiterhin unsicher bin. Aber wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist es schwer, ihn davon abzubringen. Erst recht, wenn die Idee schon länger in seinem Kopf sitzt, so wie diese. Und das tut sie, seit Paul Crutzen sie 2005 zum ersten Mal formuliert hat – was er nach meinem Dafürhalten nur getan hat, um zu verdeutlichen, wie ernst unser Problem ist. Aber Lee sieht das anders, er hält es für einen gangbaren Weg, den einzigen gangbaren Weg, um das Hauptproblem zeitnah zu lösen.«
    In Mavies Kopf ertönte wie aus weiter Ferne eine Alarmsirene. »Wie?«, fragte sie. »Augenblick. Wir reden hier von Maßnahmen zur Evakuierung und Notversorgung der Menschen in den Dürregebieten?«
    Reveilliere schwieg mit gerunzelter Stirn. »Indirekt«, sagte er.
    »Indirekt?«, sagte Mavie.
    »Ja.«
    »Und direkt?«
    »Einer Verhinderung des sich abzeichnenden Temperatursprungs.«
    »Einer was? Wie?«
    »Pinatubo«, sagte Reveilliere.
    Sie schüttelte den

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