Prophezeiung
spanischer Frauen hinterlassen, die laut Agneta Olsen als »privat« in Gerrittsens Adressbuch gespeichert waren.
Es waren verblüffend viele Namen.
Als er die Diele betrat, saßen nur noch Paulina und Nina am Tisch. Thilo wünschte den Frauen einen guten Morgen und setzte sich den beiden gegenüber auf die lange Bank, mit dem Gesicht zum Großraumbüro, in dem hektisch auf Tastaturen geklappert und murmelnd über die Online-Nachrichtenlage diskutiert wurde. Er schenkte sich einen Kaffee aus der fast leeren Kanne ein, die auf dem Holztisch stand, griff nach einem der letzten Brötchen im Brotkorb und sah Paulina fragend an. »Und?«
»Was, und?« Er erinnerte sich nur zu gut an diesen Tonfall. Stellte man danach die falsche Frage, war sie früher immer unweigerlich laut und beleidigend oder handgreiflich geworden.
Also versuchte er es mit einem Lächeln in Ninas Richtung. Sie war so freundlich, es zu erwidern. »Bescheuerter Typ halt«, sagte sie.
Er nickte. »Wichtigtuer. Hat wahrscheinlich zu viel Scheinwerferlicht abbekommen.«
Sie lächelte wieder.
Paulina lächelte nicht.
Thilo sah zwischen den beiden Frauen hindurch auf die acht Gaias an ihren Schreibtischen. Zwei der Bildschirme waren in seine Richtung gedreht, er sah Online-Schlagzeilen, die in großen Lettern vom Ende der Welt kündeten, allerdings mit einem Fragezeichen dahinter. Der lange Tisch am hinteren Ende des Raumes, vollgestapelt mit Werkzeug, Kabeln und den unpassenden Batterien von Überraschungseiern, stand verwaist, und Beck fragte sich erneut, wo die Gaias eigentlich ihre Kinder versteckten. Er hielt die Frage für unverfänglich, also stellte er sie laut.
Paulina und Nina wechselten einen Blick.
»Welche Kinder?«, fragte Nina.
»Eure.«
»Wir haben keine«, sagte Nina.
»Oh«, sagte Beck. »Ich dachte.«
»Wieso?«
»Deswegen«, sagte er und deutete auf den langen Tisch.
Nina drehte sich kurz um, dann warf sie ihm einen ernsten Blick zu. Aber statt zu antworten, sah sie Paulina an, unsicher.
»Keine Kinder«, knurrte Paulina.
»Okay?«, sagte Beck. Er musste die Frage, die sich anschloss,nicht laut stellen. Sie stand auch so im Raum. Nina sah ihn wieder an, biss sich kurz auf die Unterlippe, sah wieder Paulina an, die schweigend einen Schluck Kaffee trank, sah erneut Beck an und stand dann auf und ging. Mit einem freundlichen Nicken.
»Lass mich raten«, sagte er. »Diego sammelt Schlümpfe.«
»Ich hau dir gleich auf die Fresse.«
»Das befürchte ich.« Er nickte. »Aber würdest du mir wenigstens sagen, wieso?«
»Weil du nervst. Dein Arschloch Milett ist die totale Drecksau, und diese beknackte Ische, deine kleine Freundin, hat sie ja wohl auch nicht alle. Uns in die Pfanne zu hauen, ich glaub, es hackt. Jetzt misch dich nicht auch noch in Sachen ein, die dich einen Scheiß angehen.«
»Ich hab nur gefragt, wo die Kinder sind.«
Sie schoss ihn mit einem Blick ab. »Wir haben keine Kinder, Penner. Und wenn du’s genau wissen willst, das da hinten ist Richards Bastelstube.«
Beck wusste, dass er nicht weiter fragen sollte, aber er war einfach zu neugierig, um den Mund zu halten. Trotz der Drohung seiner schlecht gelaunten Schwester.
»Überraschungseierbastelstunde?«
»Mal was anderes als Senftuben«, sagte sie.
»Aha.«
»Mach dir nicht in die Hose, wir verletzen niemanden. Haben wir noch nie. Wir geben den Firmen Bescheid, in welchen Supermärkten der vergiftete Scheiß steht, die räumen das Zeug weg und zahlen. Fertig.«
»Verstehe«, sagte er. »Ich hatte mich eh schon gefragt, wie ihr euch finanziert.«
»Spenden der Industrie«, sagte Paulina. »Fällt in den Bilanzen nicht weiter auf.«
»Und die Eier werden dann eine Spende von Ferrero?«
»Erschütterungszünder und ein Fingernagel C4. Perfekt für die gelben hohlen Plastikdinger in der Schokolade. Und erst recht perfekt, weil jeder Idiot die Dinger mitten im Laden schüttelt, wenn sie noch zu sind.« Paulina brachte ein schiefes Grinsen zustande und machte die typische Handbewegung eines sammelnden Kunden nach, das Schütteln des kleinen Schokoladeneisdirekt vor dem Ohr. »Schlumpf drin?«, sagte sie mit alberner Stimme. »Bumm!«
Beck nickte und nahm einen Schluck Kaffee. »Das ist krank«, sagte er.
»Ich hab dir doch gesagt, wir warnen die Leute vorher.«
»Und wenn die nicht auf euch hören?«
»Selber schuld?«
Er nickte. Und zog seinen iAm und das geschützte Handy heraus. Er hatte nicht das Gefühl, noch mehr Small Talk ertragen zu
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