Prophezeiung
im Schnitt arbeitete, bei einer Maximalleistung von unglaublichen 6,4 Petaflops.
Beck erklärte ihr, was das Programm dereinst, in wenigen Jahren, sein würde: das perfekte Prognose-Tool, zuverlässig und präzise in der Vorhersage aller globalen Wetterveränderungen, bis ins letzte Detail und für fast jeden Ort auf dem Planeten. Zunächst hatte das in Mavies Ohren geklungen wie der feuchte Traum eines größenwahnsinnigen Klimagrundschülers, aber je weiter Beck sie durch die Architektur geführt hatte, die bereits bestand, desto stiller war sie geworden, hatte mit offenem Mund dagesessen und war fassungslos seinen Ausführungen gefolgt.
Das Deutsche Klimarechenzentrum, an dem sie all die Jahre inHamburg gearbeitet hatte, galt als leistungsfähigstes Rechenzentrum Europas, spätestens seit 2010. Die Datenbank umfasste 220 Terabyte, der Prozessor arbeitete mit bis zu 1,5 Teraflops, aber verglichen mit der Rechen- und Speicherkapazität, über die das IICO offensichtlich verfügte, war Hamburg so leistungsfähig wie der Apple II e aus den Achtzigern des letzten Jahrhunderts, den Mavies Vater noch immer in seinem Keller stehen hatte, im Vergleich zum letzten 2013er MacBook Pro.
Prometheus war die Zukunft. Eine Zukunft, die die meisten erst in weiter Ferne erwarteten, frühestens in zwanzig Jahren, und auch das nur, sofern Moores Gesetz der ständig exponentiell weiter wachsenden Prozessorleistung weiterhin gültig blieb. Aber Gerrittsen war seiner Zeit offensichtlich voraus.
Weit voraus.
Beck hatte sich mit wirbelnden Fingern durch diverse Frames und Ebenen geklickt, vom Pleistozän bis in die Siebziger des letzten Jahrhunderts, von Kleinstädten in Südafrika bis in die Metropolen der Welt, und rief Informationen ab – wobei er die ganze Zeit redete. Wassertemperaturen, Lufttemperaturen, Niederschläge, Aerosolkonzentrationen, Kohlendioxid-, Distickstoffoxid-, Schwefelhexafluorid- und Methanwerte, Wasserdampf – er ignorierte das betont skeptische Räuspern, mit dem sie ihn an dieser Stelle zu unterbrechen versuchte –, aber auch Geburtsraten, Ausbreitung von Seuchen, Migrationsbewegungen – hatte er das eben wirklich für ein Kaff im Zweistromland abrufen können, und zwar vor 4000 Jahren? –, Wind- und Strömungsgeschwindigkeiten, Bevölkerungsdichte, Verkehrsbewegungen, Mortalität.
Mavie war vollkommen überwältigt gewesen, aber als Beck ihren Geburtsort und Geburtstag eingegeben und, ausgehend von diesen Koordinaten, eine Wettervorhersage für einen Termin drei Jahre später abgefragt und – zutreffend – bekommen hatte, war ihr Finger fast automatisch hochgewandert und hatte auf den kleinen Button auf dem Display gezeigt, der sich direkt unter dem befand, den er zuletzt gedrückt hatte.
Forecast F.
Direkt unter Forecast Sim.
»Wofür steht das F?«
Er hielt inne. Und als er sie ansah, wusste sie, dass der Rundgang beendet war.
»Zukunftsmusik«, sagte er und loggte sich aus dem Programm aus. »Sphärenklänge. Irgendwann werden wir auch das anklicken können, aber das wird noch ein paar Jahre dauern. Ich hab ihn nur eingebaut, damit ich meinen Nordstern nicht aus dem Auge verliere.«
»Verstehe«, sagte sie.
»Wer Vorhersagen über das Klima der Zukunft machen will, muss das Ende der letzten Eiszeit verstehen«, sagte Beck.
Sie nickte und sagte: »Wally Broecker.«
Beck nickte ebenfalls. Anerkennend, weil sie die Bemerkung als Zitat erkannt hatte.
»Wir sind auf dem Weg. Aber es ist noch weit.«
Sie sah auf das leere Display. »Und du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass ich dabei sein darf.«
Sie hatte die Wahrheit gesagt. Aber er hatte gelogen, das stand für sie fest. Niemand baute sich einen Forecast -Button, nur um sich den allabendlich vor dem Einschlafen anzuschauen, als poetischen Wegweiser Richtung Vorhersage-Nirwana. Beck war eindeutig merkwürdig, aber so merkwürdig dann doch wieder nicht.
Der iAm, der neben ihr auf dem kleinen Plastiktisch lag, brummte sein Signal in die stille Nacht. Mavie sah auf das Display, schaltete das Kameraauge aus und nahm den Anruf entgegen. »Hallo, Helen.«
»Süßilein. Was soll das denn? Kamera kaputt, oder ist es so kalt in Norwegen, dass du total entstellende Frostbeulen an der Nase hast?«
Mavie lachte. Helen wusste, wo sie war, als Einzige neben Edward und, seit dem Abschiedsabend, Daniel. Es gab nichts, was sie und Helen nicht besprachen, und »Verschwiegenheitserklärung« stand nicht in beider privatem Wörterbuch.
»Es
Weitere Kostenlose Bücher