Prophezeiung
klar?«
»Sicher«, sagte er feindselig und schickte sie zurück in die Datenminen.
Sie verstand nicht, was mit ihm los war. Aber sie tat, ohne weitere Fragen zu stellen, was er ihr auftrug. Immerhin schickte er sie nicht zurück nach Bonn, sondern ließ sie diesmal die Qualität von Daten sichern, mit denen sie sich auskannte, nämlich solchen aus der zwei Kilometer langen Zeitmaschine GISP 2, ihres bevorzugten, weil »hochauflösenden« grönländischen Eiskernes. Das war zwar nicht das, was sie wollte, aber doch ein Fortschritt, verglichen mit dem miesen Wetter in einer miesen deutschen Siebzigerjahre-Hauptstadt.
Ab und zu sah sie zu Beck hinüber und fragte sich, ob er vielleicht unmittelbar vor seinen Tagen stand, denn eine bessere Erklärung für seinen fast aggressiven Autismus fiel ihr zunächst nicht ein.
Das aber legte sich im Lauf des Tages. Genauer, beim Mittagessen in der Kantine. Denn Beck, wurde ihr bewusst, sah nicht exklusiv sie so an, als hätte sie seine Camus-Sammlung angezündet, sondern jeden. Er ging allein zum Essen, er holte sich alleinetwas vom Buffet, er aß allein, möglichst weit weg von allen anderen, und niemand wagte es, sich zu ihm zu setzen. Es war, als hinge eine dunkelgraue Gewitterwolke über seinem Kopf, aus der jeden Augenblick alles vernichtende Blitze zucken konnten. Mavie schloss daraus, dass er kein persönliches Problem mit ihr hatte, sondern eins mit sich selbst. Oder mit der Welt im Allgemeinen.
Sie setzte sich zu zwei Kollegen, Holger Sandhorst, der ihr schon vorgestellt worden war, und einem anderen, den sie noch nicht kannte, und stellte sich als »die Neue« vor. Sandhorst war Schwede, fast zwei Meter groß, sanfte graue Augen, Meteorologe und »Verbindungsoffizier« zum Observatorium auf dem 2400 Meter hohen Roque de Los Muchachos. Mavie nahm überrascht zur Kenntnis, dass auch das Observatorium, das größte auf der Nordhalbkugel, das IICO mit Daten versorgte, aber Sandhorst winkte bloß freundlich ab. Das IICO zahlte gut und ermöglichte so den offiziellen Hauptbetreibern des Observatoriums, den Regierungen von Spanien, Schweden, Dänemark und England, die kostspielige Anlage auch in finanziell angespannten Zeiten weiter zu betreiben. Und die Weltraumdaten, die das Observatorium lieferte, insbesondere das schwedische SST , waren unverzichtbar für Gerrittsens großes Ziel.
Prometheus , wie Mavie vermutete. Prometheus , wie Sandhorst bestätigte. Und Mavie nahm erleichtert zur Kenntnis, dass nicht alle IICO -Mitarbeiter so verschwiegen waren wie Thilo Beck.
Der andere Mann am Tisch, Ray Mayeaux, war Amerikaner und hatte sein bisheriges Leben nach eigenen Angaben als »Streetworker auf der Hurricane Alley« zugebracht, jenem breiten Wasserstreifen zwischen afrikanischer Küste, Karibik und amerikanischer Küste, aus dem alljährlich im Herbst die verheerenden Stürme entstanden. Aufgewachsen war Mayeaux in New Orleans, hatte die Flut von 2005 miterlebt und die folgenden Jahre damit zugebracht, einen Zaun zu bauen, damit eine solche Tragödie nie wieder passierte. Einen Zaun aus Reifen und Schläuchen. Vielen Reifen und sehr großen Schläuchen mit bis zu vierzig Meter Durchmesser, die als natürliche Hydraulikköpfe fungierten, das warme Oberflächenwasser selbsttätig nach unten schleusten und so die Entstehung von Hurricanes verhinderten, denn Hurricanes benötigten warmes Wasser – weshalb sie grundsätzlichnur zwischen August und November auftraten. Ihnen das warme Wasser wegzunehmen war daher eine endgültige, wenn auch sehr sanfte Art der Geburtenkontrolle.
Die ursprünglich auf James Salter zurückgehende Idee war wunderbar einfach gewesen, Mayeaux hatte mit Begeisterung daran gearbeitet, aber es war immer schwieriger geworden, Geld für das Projekt aufzutreiben – erst recht, nachdem Al Gore seit 2011 wiederholt sämtliche Geoengineering-Versuche als »gefährlichen Irrsinn« über einen Kamm geschoren hatte. Die Homeland Security hatte den vom Nobelpreisträger geworfenen Ball mit Freude aufgenommen und die Förderung des Projekts umgehend eingestellt. Mayeaux erlaubte sich hinzuzufügen, mit Reifen und Schläuchen ließen sich zwar nachweislich Katastrophen verhindern, aber ebenso nachweislich ließ sich mit Reifen und Schläuchen kein Geld verdienen. Was natürlich bei der Entscheidung der Behörden, das Projekt einzustellen, keine Rolle gespielt hatte. Natürlich nicht.
Danach war Mayeaux dem Ruf des IICO gern gefolgt. Denn auch wenn er hier
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