Prophezeiung
Thilo, mit dem Versprechen, sich umgehend wieder zu melden.
Er hatte danach fast reflexartig nach oben gesehen, als erwartete er, das elektronische Auge eines NSA -Spionagesatelliten direkt durch die Scheunendecke auf sich gerichtet zu sehen, auf sich und sein dämliches Handy. Und er nahm sich wieder einmal vor, diesmal fest, sich mit den unbequemen Gaia-Phones anzufreunden, den nervtötend klobigen Museumsstücken, die nicht einmal in der Lage waren, seine gesamte Nummerndatei drahtlos zu übernehmen.
Das war der Moment gewesen, in dem seine Schwester den Kopf in den Raum gesteckt hatte. Mit einem breiten Lächeln. Und sie hatte ihm gut gelaunt mitgeteilt, er habe »zehn zu fünf gewonnen«. Dürfe also bleiben. Und sogar einen der Rechner benutzen, um der guten Sache zu dienen.
An diesem Rechner, mitten in der Stallgasse, zwischen seinen basisdemokratischen Freunden, saß Beck nun seit zwanzig Minuten. Und staunte. Nachdem er »Katharina Lund« nach einigem vergeblichen Suchen endlich korrekt in die Suchzeile des Browsers getippt hatte, nämlich mit einem C statt des K, war er fündig geworden.
Und seit er den Brechreiz überwunden hatte, staunte er nur noch. Weil er allmählich begriff.
Paulina stieß direkt neben seinem Ohr einen angewiderten Laut aus, und er fuhr erschrocken herum, weil er sie nicht hatte näher kommen hören. Sie deutete auf das Fenster, das er neben der elektronischen Liste der Solunia-Beteiligten noch immer auf dem Bildschirm hatte, eines der letzten Bilder von Catharina Lund.
»Was soll das denn?«, ächzte Paulina. »Sind wir jetzt Amnesty?«
»Catharina Lund«, sagte Beck und klickte via Back-Button die blutige Masse weg, die von Lunds vorher hübschem Gesicht übrig geblieben war. Er betätigte die Taste sechs weitere Male, dann hatte er wieder die lächelnde Variante der jungen Schwedin auf dem Schirm, aufgenommen drei, vier Jahre vor ihrer Ermordung, für eine Broschüre der unbedeutenden und inzwischen längst aufgelösten NGO Equitos, die sich mit sehr begrenztem Budget unbegrenzt hehre Ziele auf die Fahne geschrieben hatte: Gerechtigkeit, Frieden, das Ende von Gewalt und Willkür, fairen Zugang für alle zu allen Ressourcen, schonenden Umgang mit Gaia, das volle Programm.
»Ermordet in China«, sagte er. »März 1998. War sogar in der Presse, aber ich hab’s nicht wirklich abgespeichert, im Kopf. Oder längst gelöscht. Die Bilder hab ich jedenfalls noch nie gesehen.«
»Besser«, nickte Paulina.
Beck nickte ebenfalls. »Ein naives Mädchen aus Schweden, das an das Gute in der Welt glaubt und keine Angst vor niemandem hat. Ein Mädchen, das meint, sich mit den Chinesen anlegen zu können. Wegen eines Staudamms und der üblichen Dörfer, die deswegen weg mussten. Irgendjemand hat überreagiert, mit beschissenem Ergebnis: Ein paar Aktivisten verprügelt, festgenommen und ausgewiesen, die Anführerin verschwunden und etwas später wieder aufgetaucht, allerdings tot.« Er ließ den Rest weg. Alles, was er gelesen und gesehen hatte. Lund musste ein entsetzliches Martyrium erlebt haben, tagelang, und ihre Entführer hatten nichts ausgelassen. Am Ende war sie vermutlich froh gewesen, endlich sterben zu dürfen, aber ihre Entführer hatten sogar danach noch weitergemacht.
»Was hat das mit uns zu tun?«, fragte Paulina.
»Zweierlei«, sagte Beck und deutete auf die lächelnde Catharina Lund. »Erstens beantwortet es die Frage von Mavie, warum Eisele sie hat leben lassen – als ich das Bild hier gesehen hab, dachte ich nämlich, ich bin mitten in Vertigo gelandet. Lund sieht aus wie Mavies Zwilling. Und sie war offenbar ähnlich gestrickt, sprich genauso leidenschaftlich, um es positiv zu formulieren. Aber das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Lund Eiseles Frau war, und wenn ich nun für den Augenblick mal annehme, dass der Mann tatsächlich zu Gefühlen fähig ist oder war – nennen wir es ›Liebe‹ –, dürfte seine schon latent vorhandene Xenophobie nach der dutzendfachen Vergewaltigung und Hinrichtung seiner Frau durch chinesische Landser endgültig in blanken Hass umgekippt sein. Womit wir dann auch schon bei den fehlenden Elefanten wären …«
»Sprich mal deutsch«, sagte Paulina. »Du nervst.«
Beck deutete auf die lange Liste der IICO -Beteiligten. »Du kennst das doch: den Elefanten im Raum nicht sehen? «
»Wer kennt das nicht.«
»Gut. Den Fehler haben wir nicht gemacht, denn wir haben ja nicht nur den einen Elefanten gesehen, sondern jede
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