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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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sie schaffte es, an ihm vorbeizuspringen, an seinen Pranken vorbei. Vielleicht konnte sie ihm in die Weichteile treten, aber so, wie er aussah, verfügte er gar nicht über weiche Teile, nirgendwo, sondern bestand zu hundert Prozent aus zementharten Muskeln und hätte »Schmerz« in einem Wörterbuch nachschlagen müssen.
    Das Handy klingelte zum dritten Mal. Danach würde ihre Mailbox anspringen.
    Ihre Gedanken rasten weiter. Das mitleidige verkabelte Mädchen am Empfang würde sie irgendwann suchen lassen. Sie, die Ausgestoßene, konnte ja nicht ewig auf der Damentoilette bleiben, jemand würde nach ihr sehen, um sie endlich vor die Tür zu setzen. Aber wann? Schaffte sie es in eine der Boxen, schaffte sie die zwei Schritte, schaffte sie es, die Tür zu verriegeln? Wie lange würde er brauchen, um die Tür einzutreten? Zwei Sekunden? Wie lange würde er brauchen, um ihr das Genick zu brechen? Weitere drei Sekunden?
    Das Handy verstummte.
    Sie konnte ihn nicht mal mit irgendwas bewerfen. Nicht mal mit einem Stück Seife, und der Seifenspender war fest in die Wand montiert.
    Sie konnte nur warten, dass er seine Pranken ausfuhr. Und hoffen, dass sie genau traf. Und dass er nicht überall aus Stahl war.
    Oder ihn überreden, es zu lassen.
    Das Handy blieb stumm.
    Aber ehe Mavie einen Versuch unternehmen konnte, das Gewissen des Eisenmannes mit Worten zu erreichen, öffnete er selbst den Mund und begann mit verblüffend leiser, sanfter Stimme in perfektem Oxford-Englisch zu sprechen. Es klang, als synchronisierte ihn irgendwer, live, ein kleiner Mann mit Brille und Rollkragenpullover, dessen Stimme aus einem unsichtbaren Lautsprecher mitten aus dem Muskelgebirge ertönte.
    »Sie sind eine sehr unvernünftige Frau«, sagte der Eisenmann.
    Mavie nickte. »Weil ich mich mit den falschen Leuten anlege.«
    Er nickte. »Ich dachte, Sie wären so klug, sich in Sicherheit zu bringen.«
    »Vor ihm.«
    Wieder nickte er. »Er ist vorsichtig. Er wird Sie nicht hier eliminieren lassen. Aber er wird Sie finden. Sehr schnell.«
    Mavie nickte ebenfalls. Und fragte sich, wie ein Muskelberg mit versteinerter Visage und offenbar guter Kinderstube an einen Job wie den kam, den er offensichtlich machte. Aber sie fragte ihn nicht.
    »Und Sie?«, sagte sie.
    Er beantwortete die Frage nicht. Stattdessen sagte er, immer noch leise, aber jetzt hörbar indigniert: »Sie hätten mitspielen sollen. Das wäre besser für uns alle gewesen, für Sie, für ihn, für mich. Aber Sie wollten ja nicht mitspielen. Keine Mätresse, nicht einmal eine auf Augenhöhe, so, wie er es immer vorgesehen hatte. Mir ist schleierhaft, was Sie antreibt, aber so ist es nun mal.«
    »Mitspielen wobei?«
    Sein Erstaunen spiegelte sich nicht in seinen Zügen, nur in seinen Augen. »Sie waren Katharina.«
    »Wer?«
    Er schüttelte kurz den Kopf, mit steinerner Miene. »Wissen Sie denn gar nichts?«
    »Ich weiß jedenfalls nicht, was das heißen soll.«
    »Sie wissen, was mit Katharina passiert ist.«
    »Nein.«
    »Katharina Lund, seiner Frau.«
    »Er hat eine Frau?«
    »Hatte.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Er war sehr verärgert über Sie. Wir dachten alle, er würde Sie fallen lassen, endgültig, nach La Palma, aber er ist sentimental. Deshalb hat er nicht Sie aus dem Weg geschafft, sondern die Journalistin.«
    »Was hat das mit seiner Frau zu tun?«
    Er sah sie an, und sein Blick war ernst. »Es spielt keine Rolle mehr. Er hat die falschen Entscheidungen getroffen. Emotionen führen immer zu falschen Entscheidungen. Er musste zu weit gehen, jetzt endet sein Weg. Und ich beabsichtige nicht, ihn auf dem letzten Abschnitt zu begleiten. Aber wir brauchen eine Verabredung, einen Deal.«
    Sie sah ihn fragend an.
    »Zehn Millionen«, sagte er.
    »Wofür?«
    »Sie stehen in Kontakt mit diesem Gaia-Kommando.«
    Es war keine Frage, aber sie nickte trotzdem.
    »Und Sie verfügen über die entsprechenden Mittel. Ihr Freund.«
    Sie nickte wieder, obwohl sie das nicht wirklich wusste.
    »Sie transferieren das Geld auf ein Konto auf den Caymans. Die Nummer ist in zehn Minuten auf Ihrem Handy.«
    »Im Tausch wogegen?«
    »Jeder Mensch muss irgendwem vertrauen. Fritz Eisele wusste immer, dass er mir vertrauen kann. Ich bin genauso schuldig wie er. Der Unterschied ist, dass meine Existenz nicht von meinem Leumund abhängt.«
    Sie sah ihn weiter fragend an.
    »Er hat uns den Auftrag gegeben, mir und Parks. Aber Parks hatte keine Kamera im Knopfloch. Ich schon. Sie bekommen Fritz

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