Prophezeiung
Schwester her durch den knöcheltiefen Schlamm und die schmutzigen Schafe, die blökend aus dem Weg sprangen. Er rechnete mit Schmerzen, jeden Moment, mit harten Stichen in seinem Rücken, die ihn zu Boden werfen und töten würden, aber er rannte weiter, ohne sich umzusehen. Weiter hinter Paulina her, über den Zaun am anderen Ende der Koppel, über den nächsten Wall, diesmal einen aus Dreck, Blättern und Nadeln, und blieb keuchend neben ihr liegen, mit dem Hinterkopf im Dreck.
Sie hatte sich bereits wieder umgedreht und spähte über den kleinen Wall zurück zum Hof. Beck tat es ihr nach und lugte ebenfalls vorsichtig aus der Deckung.
Die Angreifer hatten das Feuer eingestellt. Hühner gackerten vom Hof aus, die Schafe blökten noch immer vor sich hin, ansonsten hörten sie nur noch die schweren Schritte der Männer im Haus.
Beck zuckte zusammen, als er vom Hofplatz her ein gellendes Nein! hörte, eine Frauenstimme, und direkt danach eine kurze Salve. Sechs oder acht Schüsse, danach Stille.
Kein weiteres Nein.
Paulina bedeutete ihm mit einer Handbewegung, er solle ihr folgen. Geduckt, weiter hinein in den Wald.
Er folgte ihr. Durch das dichter werdende Unterholz, schnurstracks hinein ins Dunkle, in den Wald aus dicht stehenden Kiefernund vereinzelten traurigen, nackten Laubbäumen. Nach zwei Minuten lautlosem Schleichen krabbelte Paulina über einen weiteren flachen Wall, hinter dem sich eine Senke verbarg, und schaute abermals zurück.
Beck tat es ihr nach. Die Scheune brannte weiter, eine schwarze Rauchsäule mühte sich nach Kräften, gegen den dichten Regen zu bestehen, aber Flammen waren nicht mehr zu sehen. Auf dem Wall zwischen Haupthaus und Schafkoppel standen drei der schwarz gepanzerten Attentäter, zwei von ihnen mit Schnellfeuergewehren, der dritte, zwischen den beiden anderen, mit einem Fernglas in den Händen, das er in Richtung Wald schwenkte.
Paulina zog Thilo zu sich herunter, tiefer hinein in die Senke.
Sie legte sich den Zeigefinger auf die Lippen.
Beck nickte.
Dass sie einen in Tarnfarben gehaltenen Beutel an der Seite trug, bemerkte er erst jetzt, als sie sich den Gurt über den Kopf zog, den Reißverschluss des Beutels öffnete und im Inneren zu kramen begann. Sie suchte offenbar weder Werkzeug noch Messer noch die Pistole noch das zu groß geratene Handy mit der dicken Stummelantenne, denn all diese Dinge kramte sie hektisch beiseite, nur um am Ende die Tasche wieder zufallen zu lassen, mit leeren Händen.
Vorsichtig lugte sie erneut über den Rand ihrer Deckung, sah sich suchend um und kroch dann so nah wie möglich an ihren Bruder heran.
»Wir müssen hier weg«, sagte sie.
Er nickte.
Sie deutete nach links. »Da lang. Paar Hundert Meter, da ist ein Futterplatz für Rehe, im Winter. Fall Back Position für alle, falls was passiert. Hoffen wir, dass wir nicht die Einzigen sind.«
Sie legte sich den Gurt des Beutels wieder über beide Schultern und sah ihn an. Wütend. »Scheiße, was soll das, Mann.«
»Weiß ich nicht«, sagte er.
»Deine Freunde.«
»Garantiert, ja.«
»Ich hab dir gesagt, hör auf mit deinem verfickten Handy. Scheiße. Ich sag dir, Mann, wenn Diego was passiert ist, bring ich dich um.«
Beck schwieg.
Und folgte ihr.
Den Futterplatz sahen sie schon von Weitem, aber Beck erkannte, während sie vorsichtig näher heranschlichen, im Umkreis der zwischen einigen Bäumen stehenden Krippe keinerlei Bewegung. Er war bereits sicher, dass er und Paulina die Einzigen waren, die den Angreifern entronnen waren, als seine Schwester die Hand hob, ihm so signalisierte, er möge stehen bleiben, und aus einer der zahlreichen Taschen ihrer Cargo-Hose eine kleine Maglite zog und diese auf ein flaches Gestrüpp links von der Krippe richtete. Ein enger Kegel traf zweimal in die Äste, und nach kurzem Warten erwiderte jemand aus dem Gestrüpp das Signal.
Paulina sah nach links, in Richtung des Hofes, und bedeutete Thilo, ihr zu folgen. Geduckt schlichen sie am Rand der Lichtung bis hinter die struppigen Büsche, in die dahinter liegende Senke.
Beck war zugleich erleichtert und entsetzt über den Anblick, der sich ihm bot. Oskar war derjenige gewesen, der Paulinas Signal erwidert hatte. In der Linken hielt er die Taschenlampe, in der Rechten eine Schrotflinte. Diego, dem Anschein nach unverletzt, kniete vor Nina im Dreck und riss gerade mit einer ruckartigen Bewegung das Hosenbein ihrer schwarzrot verfärbten Jeans unterhalb des Knies auseinander. Sie unterdrückte
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