Prophezeiung
einen Schrei, und Beck sah, dass ihre Wade von einer Kugel durchschlagen worden war. Blut sickerte aus der Wunde, in rhythmischen Schüben, und Paulina kniete bereits neben Nina und Diego und beförderte einen Verband aus ihrem Beutel, während Diego einen Ast auf seinem Knie entzweibrach, um ihn als Drossel oberhalb der Wunde einzusetzen.
Nina sah zu Beck auf, Schmerz, Angst und Panik im Blick. Er kniete sich neben sie und nahm, ohne nachzudenken, ihre Hand, legte seinen Arm um ihre Schultern, hielt sie fest und drückte ihr einen Kuss in die schlammgetränkten Haare. »Sssh«, hörte er sich sagen, »alles wird gut«, und ließ zu, dass sie sich in seine Hand krallte, während Diego die Aderpresse fester anzog.
Paulina wechselte einen Blick mit Diego, dann trafen beider Blicke Beck. Diegos Blick war eine stumme ernste Frage. Paulinas Blick ein wütender Vorwurf. »Dein Scheiß-Handy«, sagte sie.
Beck nickte. »Mag sein. Aber nicht sehr wahrscheinlich.«
»Was denn sonst, du Idiot?«
»Wie wäre es mit anderes Kaliber? Das ist keine freundliche Schokoladeneierfirma, mit der wir uns da angelegt haben. Die bringen nicht 100 000 in den Bahnhofsmülleimer und erstatten Anzeige gegen Unbekannt.«
»Umso bescheuerter, dass du die herführst.«
»Ja«, sagte er, jetzt ebenfalls wütend. »Wenn ich das gewusst hätte, von Anfang an, wäre das bescheuert gewesen, absolut. In dem Fall hätten wir die ganze Zeit in Bewegung bleiben müssen und keine Sekunde auf dem bescheuerten Hof. Aber ich wusste es nicht, Schwester. Ich hatte keine Ahnung. Ich ahne seit – wie lange? – zwei Stunden, wie weit Eiseles Arme reichen und wer alles von diesem Scheißplot wusste. Und das da«, sagte er und deutete in den Wald, in Richtung des brennenden Hofes, »ist nicht direkt eine unsichtbare Festung im ewigen Eis. Gib mir einen NSA -Satelliten und eine vage Angabe, ›zwanzig Ökotypen, weit ab von allem‹, im Hundert-Kilometer-Umkreis von Berlin, und jedes Programm findet euch binnen zehn Minuten …«
»Ah, fuck, du redest dich raus, Arschloch, meine Freunde sind tot, Mann, weißt du eigen…«
Diego unterbrach sie mit einem energischen Zischen. »Schluss«, sagte er. »Ist gut, Paulina.« Er legte ihr kurz die Hand auf den Unterarm, dann streifte er Beck mit einem Blick, sah Nina an und wieder Paulina. »Wie weit, sechs Kilometer?«
Sie nickte und zog das klobige Handy aus ihrem Sack, das, wie Beck jetzt begriff, kein Handy war, sondern ein GPS -Empfänger. Sie hatte das Gerät bereits eingeschaltet, und auf dem Display erschienen die verschiedenen Satelliten, die sich über ihnen in Reichweite befanden.
Das Gerät ermittelte ihre Position.
»Ungefähr«, sagte sie.
»Wie heißen die Leute noch mal?«
Sie sah ihn fragend an. »Otte?«
Oskar meldete sich zu Wort. »Oswald.«
»Sicher?«, sagte Diego.
Oskar nickte. »Ich war letztes Jahr mal drüben. Ganz guter Hof, groß, aber nur noch Selbstversorger.«
»Aber es gibt doch einen Feldweg«, sagte Diego. »Hinter dem Wald, drei, vier Kilometer von hier?«
Paulina nickte.
»Handy«, sagte Diego und hielt die Hand auf.
Paulina rührte sich nicht. Dann schüttelte sie langsam den Kopf, und Diego sah sie ungläubig an. »Du hast doch alles dabei …«
»Kein Handy«, sagte sie. »Lag auf dem Tisch, zum Aufladen, ich hab mir nur den Beutel gegriffen, ich hatte verdammt noch mal keine Zeit, den auch noch ordentlich zu packen .«
Diego sah Oskar an, der ebenfalls den Kopf schüttelte, wie danach auch Nina und Beck, und entließ ein fassungsloses, leises »Fuck« in den trostlosen Wald.
»Munition?«, fragte Paulina Oskar, zog ihren Revolver aus dem Beutel und zog das Magazin heraus.
»Vier Patronen«, erwiderte der Programmierer. »Und die zwei im Lauf.«
»Sieben bei mir«, sagte sie und ließ das Magazin wieder einrasten. »Also sehen wir zu, dass wir denen komplett aus dem Weg gehen, sonst war’s das.«
Oskar nickte. Diego ebenfalls. Und Beck sah zwischen den dreien hin und her und fragte sich, was sie vorhatten. Die verletzte Nina sechs, sieben Kilometer durch den Wald zu schleifen? Wohin? Zu Herrn oder Frau Oswald oder Otte, den oder die sie leider nicht anrufen konnten, weil niemand daran gedacht hatte, ein Handy einzustecken?
Seine Hand glitt automatisch in seine Hosentasche, als er ans Einstecken dachte, und zu seiner eigenen Überraschung spürte er den Mem-Stick zwischen seinen Fingern.
Und während Paulina und Diego Nina auf die Füße halfen, sah er
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