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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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stand unberührt auf der Platte des Couchtisches.
    »Zweitens«, sagte sie, »geht es nicht primär um aufrichtige Verruchtheit, jedenfalls nicht jetzt. Es geht darum, ob wir das Recht haben, zu entscheiden, wer sterben muss und wer leben darf. Mag sein, dass ein paar Hundert Millionen Menschen weniger besser für unseren Planeten wären. Aber es liegt nicht bei uns, auszuwählen, wer die Opfer sein sollen. Ich erwarte nicht, dass Sie Ihr Vermögen hergeben, um 10 000 afrikanische Kinder zu retten. Ich erwarte nur, dass Sie ihnen eine Möglichkeit geben, zu reagieren. Dass Sie sie warnen. Sie sollen nicht anständig werden, Sie sollen nur Alarm schlagen. Wie Sie schon sagten, vorhin: Ihr realistischer Zynismus rechtfertig keine unterlassene Hilfeleistung.«
    Milett hatte den Kopf gesenkt und betrachtete interessiert seine Schuhspitzen. Mavie hatte das Gefühl, alles gesagt zu haben. Und sie hatte das Gefühl, zu ihm vorgedrungen zu sein.
    Milett hob den Kopf und sah sie an. »Fertig?«
    Sie nickte.
    »Nicht überzeugend«, sagte er. »Bedaure. Netter Versuch, argumentativ durchaus ansprechend, wenngleich nicht bahnbrechend …«
    Mavie sah ihn fassungslos an, während er weitersprach. Und sie merkte zweierlei, nämlich zum einen, dass ihr Geduldsfaden noch weit weniger robust war, als sie angenommen hatte, zum anderen, dass ein Prinzip ihres Vaters fest in ihrem Denken verankert war. Sie hatte ein Ziel, ein Projekt. Das Projekt hieß: Die Welt informieren, Unschuldige retten. Dazu brauchte sie ein Megafon, und dieses Megafon hieß Milett. Sein Name garantierte Aufmerksamkeit. Sie brauchte diese Aufmerksamkeit, um die Botschaft zu transportieren, die sie transportieren musste. Im Idealfall trat Milett vor die Weltpresse und überbrachte die Botschaft. Freiwillig.
    »Davon abgesehen«, sagte er von sehr weit oben herab, »werden Sie geahnt haben, dass ich kein reicher Teufel bin, der Sehnsucht verspürt, sich lächerlich zu machen. Sollte Ihre konspirologische Theorie zutreffen und die Prognose in bestimmten Kreisen bekannt sein, wende ich mich mit meinem Auftritt nicht nur gegen die Verantwortlichen, sondern auch gegen meine eigenen Überzeugungen.«
    Im nicht ganz so idealen Fall trat er eben unfreiwillig vor die Presse.
    »Deshalb sehen Sie mir selbstverständlich nach, dass ich auf Ihr Angebot nicht eingehen kann.«
    Im Notfall übertrug er seine Prominenz auf sie.
    Sie ließ das Plastikmagazin und den Lauf mit einem leisen Geräusch einrasten, ließ die zusammengesetzte Pistole beiläufig aus der Handtasche auf ihre Beine gleiten, hielt sie dort mit der Rechten, den Finger vor dem Abzug, und beugte sich leicht vor, um nach ihrem Whiskyglas zu greifen. Setzte sich aufrecht wieder hin, trank einen Schluck und kommentierte nicht, was auf ihren Oberschenkeln lag und mit dem Lauf auf die linke Sofalehne gerichtet war.
    Es war, als verschöbe sich das Gewicht des Raumes auf ihre Seite des Tisches.
    »Sie sind Agnostiker, oder?«, sagte sie.
    Milett schwieg.
    Philipp sah sie verwundert an, bemerkte erst jetzt die Waffe und erstarrte kurz, mit einem Schluck Whisky im Mund.
    »Andernfalls«, sagte Mavie, »müssten Sie doch helfen wollen, oder nicht? Kämen Sie nicht, mit Verlaub, in Teufels Küche?«
    Milett wechselte einen Blick mit Philipp, einen vorwurfsvollen Blick. Was haben Sie mir denn da mitgebracht?
    Philipp schluckte seinen Whisky und erwiderte, ebenfalls schweigend: Sorry, ich bin selbst überrascht; aber machen Sie jetzt bloß keinen Quatsch, die Frau ist offensichtlich komplett durchgeknallt.
    Milett fand sein dünnes Lächeln wieder. »Der Christengott«, sagte er gefährlich leise, »gehört zu den fragwürdigsten Erfindungen unserer Zivilisation. Ich fürchte daher weder ihn noch sein Alter Ego, den Christenteufel. Wie steht es mit Ihnen – ebenfalls agnostisch?«
    »Wir sind sicherlich nicht die letzte Instanz.«
    »Eine höhere Macht? Eine, die straft? Die Gebote aufstellt wie ›Du sollst nicht töten‹?«
    »Sagen wir doch besser: ›Du sollst Leben bewahren, wo immer du kannst.‹«
    »Und wohin kommen Sie dann, wenn Sie mich erschießen?«
    »Möglicherweise in die Hölle. Aber vorher in die Nachrichten.«
    Milett schwieg.
    Mavie lächelte. »So gesehen, bin ich wohl doch nicht agnostisch. Sich für ein höheres Ziel zu opfern, das klingt schon irgendwie christlich, da haben Sie …«
    Was sie verstummen ließ, kam von halblinks, links hinter ihrer Schulter. Und das Geräusch war so laut, dass

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