Prophezeiung
zurückziehen.«
»Mit einem ziemlichen Paukenknall.«
»Finden Sie? Ich finde nicht. Unter den gegebenen Umständen fand ich meine Wortwahl angemessen – oder sogar unangemessen höflich. Ich hätte Gore schon damals, auch öffentlich, sagen müssen, dass seine Biosprit-Idee ihn als Wahnsinnigen oder als Vollidioten auswies und dass er aus dem Verkehr gezogen gehörte. Das habe ich unterlassen. Das war ein Fehler. Aber ich konnte damals noch nicht absehen, welchen gefährlichen Einfluss der Mann gewinnen würde.«
Mavie nickte nachdenklich. Sie erinnerte sich nur dunkel an Miletts Abgang von der Weltbühne und wusste nicht, wie weitseine Verschwörungstheorien inzwischen gediehen waren, zog es jedoch vor, ihn nicht zu einem Vortrag einzuladen.
Das musste sie aber auch gar nicht, denn Philipp sah zwischen ihr und Milett hin und her, leicht verwirrt. »Nichts für ungut«, sagte er, »aber Gore ist doch einer von den Guten? Oder hab ich das falsch verstanden?«
»Gore ist ein Trottel«, sagte Milett. »Ein Laie, ein erfolgloser Politiker und ein Idiot. Ich will ihm nicht einmal unterstellen, dass er bewusst im Auftrag der Industrie handelt – obwohl ich auch das nicht ausschließen will –, aber seine Argumentation ist einfach hanebüchen.«
»Es ist aber besser geworden«, sagte Mavie besänftigend. »Er sieht inzwischen auch, dass es nicht nur am CO 2 liegt. Und er hat eingeräumt, dass seine Ethanol-Idee falsch war.«
»Das ist zu wenig«, sagte Milett. »Solange er nicht öffentlich richtigstellt, was er an absurden Lügen verbreitet hat, ist und bleibt er gefährlich. Ich bitte Sie: Jeder Gymnasiast versteht mehr von Physik und Chemie als Gore …« Er sah Philipp kurz an, Philipp machte den Fehler, wie ein Hauptschüler zu gucken, und Milett dankte es ihm mit der Fortsetzung seines für Mavie höchstens binsenweisen Vortrages.
»Erst recht«, sagte er, »weiß jeder Gymnasiast, dass ein Molekül, das qua C schwerer ist als O 2 , keinen Treibhauseffekt in sechs Kilometern Höhe über dem Boden auslösen kann. Und sogar Kaspar Hauser erkennt bei einem Blick auf die Zahlen, dass CO 2 das kleinste unserer Probleme ist. Sofern es denn überhaupt unser Problem ist und nicht Teil der Lösung unseres Problems – wofür einiges spricht.«
Schwachsinn, lag sehr weit vorn und abschussbereit auf Mavies Zunge, totaler, kompletter Schwachsinn, neben ein paar Dutzend gediegenen Zurechtweisungen für den provozierenden Angeber. Sie hielt sich zurück, indem sie einen festen Zaun aus Zähnen um ihre nervöse Zunge baute, gut verborgen hinter höflich lächelnden Zügen. Sie brauchten Milett. Ihr blieb keine Wahl, als gute Miene zum idiotischen Vortrag zu machen.
»Zwar erwarte ich nicht von jedem Kaspar Hauser«, fuhr Milett fort, »dass er die wenigen fundamentalen Wahrheiten über Aerosole und Treibhausgase selbst nachschlägt, aber verantwortungsvoll handelnde Menschen haben diese Zusammenhänge angemessen darzustellen. Tun sie es nicht, haben sie offenbar andere Ziele als die von ihnen selbst behaupteten. Gore ist also entweder ungeheuerlich dumm oder ein ungeheurer Schwindler, ein politischer Lügner. Die Erklärungen des IPCC sind Konsens-Erklärungen und dienen bestimmten Zwecken, im Kern dem Erhalt unseres imperialen Lebensstils und der Schaffung neuer Absatzmöglichkeiten. Das IPCC arbeitet der Energieindustrie zu – und verteilt das verbliebene Volksvermögen in die Taschen der großen Energieversorger. Daran wirkt Gore mit, und dafür gebührt ihm ein Platz im Fegefeuer.«
»Okay«, sagte Philipp. »Jetzt verstehe ich, weshalb Sie nicht mehr so gern öffentlich auftreten.«
Milett schnaubte verächtlich. »Zu welchem Zweck? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin kein Freund von bequemen Lügen. Ich bin, ganz im Gegenteil, ein Freund der unbequemen Wahrheit, wie Gore es so schön plakativ nennt. Aber die unbequeme Wahrheit ist, dass etwa 600 Millionen Menschen beschlossen haben, die Entfaltungsmöglichkeiten der restlichen sechs Milliarden auf grausamste Weise zu beschneiden und diese anderen nach Belieben zu vernichten. Die 600 Millionen, das sind wir, Europäer und Nordamerikaner. Selbst die Ärmsten von uns, die Wohlfahrtsempfänger, die Arbeitslosen und die Nichtsnutze, leben heute wie die Fürsten im Mittelalter, mit fließend Wasser und nicht nur täglich Brot, sondern Tiefkühlpizza und Flachbildschirmen. Die Reicheren unter uns, nun ja, die Reicheren von uns sind die Herren der Welt. Aber wir
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