Psalms of Isaak 01. Sündenfall
um ihr Mitgefühl zu schulen, ein kleiner Verlust, um sie Demut zu lehren, eine Gelegenheit zur Rache, um den Zorn zu zügeln.
Und obwohl die strategische Absicht dahinter so deutlich war, fand sie sich plötzlich voller Zweifel wieder. Das Lebenswerk ihres Vaters bestand aus Dutzenden von Damenkrieg-Partien, die von lebenden, atmenden Menschen als Figuren ausgetragen wurden, und jeder Zug in einem Spiel war auf irgendeine Weise mit einem Zug in einem anderen verbunden. Und sie hatte geglaubt – man hatte sie gelehrt, daran zu glauben -, dass sein Werk im Dienste des Lichtes stand, auf vielerlei Weise dunkler als die Arbeit des Androfranzinerordens, aber unverzichtbar, wenn die Benannten Lande niemals den Weg der Alten Welt einschlagen sollten.
Doch nun erzürnte sein Werk sie aus irgendeinem Grund. Und der innigste Grund dafür war, dass sie erkannte, wie sehr ihr Vater Rudolfo misshandelte.
Ist das also Liebe? Wenn es so war, dann hatte sie Mühe, daran irgendetwas Brauchbares zu erkennen. Liebe, so dachte sie, war die Strategie, die am besten von allen das Gute bewahrte. Und wer war sie, den Willen ihres Vaters infrage zu stellen? Nach allem, was sie wusste, leistete er nur einen Beitrag zu der Arbeit, die schon sein eigener Vater vorangetrieben hatte. Wer war sie, das Werk des Hauses Li Tam infrage zu stellen?
Dieses Werk würde das Licht in der Welt bewahren. Und ehe sie vor scheinbar so langer Zeit diese Rauchsäule gesehen hatte, hätte sie ohne Zögern behauptet, dass die Erhabenheit dieses Ziels alle Mittel rechtfertige. Nun jedoch zweifelte sie.
Als sie erfuhr, dass Rudolfo nur ein paar Stunden entfernt war, säuberte sie sich, wusch das Rot aus ihren Augen und kleidete sich in einfache Wollsachen und Stiefel. Heute Abend würde sie ihre Aufgabe erledigen – ihren Anteil am Werk ihres Vaters -, aber sie würde sie nicht mit schönem Zierrat übertünchen.
Jin Li Tam ging mit den anderen, Isaak eingeschlossen, zum Rand des Lagers und beobachtete die Reihe der Metallmänner, die vollkommen synchron über den weißen Boden rannten. Neben und hinter ihnen ritten die Zigeunerspäher auf ihren Pferden, als würden sie eine Herde vor sich hertreiben, und sie ritten schnell. Zum ersten Mal, seit sie ihn getroffen hatte, konnte sie ihren Verlobten nicht innerhalb der Reitergruppe erspähen.
Selbst als sie anhielten, erkannte sie ihn zunächst nicht. Erst als er aus dem Sattel glitt und einem wartenden Diener die Zügel übergab, sah sie ihn. Aber sie hielt sich abseits und beobachtete ihn, reimte sich zusammen, was sie konnte.
Er war nicht er selbst. Er ging langsamer, seine Schultern zusammengesunken, sein Gesicht verhärmt von Erschöpfung und unaussprechlicher Trauer. Seine Augen waren vor Anstrengung rot umrandet, seine Kiefermuskeln angespannt. Er trug die wollene Winterkleidung eines Zigeunerspähers, und die dunklen Kleider waren mit noch dunkleren Flecken beschmutzt, von denen sie wusste, dass es sich um Blut handeln musste. Sie fragte sich, ob es das Blut Gregorics war.
Sie sah zu, wie er einem anderen Hauptmann Befehle gab, und schließlich konnte sie nicht mehr warten. Sie ging zu ihm, und als er zu ihr aufsah, ließ sein Gesichtsausdruck sie erstarren.
In diesem Augenblick zerbrach etwas in ihr, und eine Erkenntnis dämmerte in ihr herauf, eine Gewissheit nahm Gestalt an, aber sie schob sie zur Seite. Später, schwor sie sich, werde ich darüber nachdenken.
Er zeigte keinerlei Überraschung, sie so weit von der Siebten Waldresidenz entfernt zu sehen, und er nickte und brummte nur, als sie ihm sagte, dass sie Isaak mitgebracht hatte, damit er sich um die anderen Mechoservitoren kümmerte.
Sie wiederholte es vor dem Hauptmann, der Isaak sogleich heranwinkte, und ehe der Metallmann bei seinesgleichen ankam, packte Jin Li Tam Rudolfos Hand und zog ihn mit sich. Er widersetzte sich nicht.
Sie rief nach einem Zuber mit heißem Wasser, nach Speise und Trank, und während die Diener die Sachen bereit legten, setzte sie Rudolfo auf das breite Feldbett und zog ihm die Stiefel aus.
Der Verlust machte ihm schwer zu schaffen, das sah sie, und bald würde er den Fünffachen Pfad der Trauer beschreiten, von dem die Franziner sprachen. Im Moment jedoch schüttelte er nur den Kopf, murmelte vor sich hin und hielt seinen Blick gesenkt und von ihr abgewandt.
Trotzdem blieb er fügsam, ließ sich sogar in das heiße Bad sinken und ertrug es, dass sie ihm das Blut seines Freundes abwusch. Als ob er ein Kind
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