Psalms of Isaak 01. Sündenfall
wurde ihm klar, dass die Tage, da er Entscheidungen von solcher Tragweite alleine treffen konnte, vorüber waren. Nicht weil er sich Sorgen machte, dass sie mit seiner Entscheidung nicht einverstanden wäre – er wusste, dass das nicht der Fall sein würde. Aber er kannte sie inzwischen, und er wusste, dass sie über einen Weitblick verfügte, wie er es nie zu träumen gewagt hätte. Sie war eine wertvolle Verbündete.
»Erster Hauptmann«, sagte Rudolfo und neigte leicht den Kopf.
»General Rudolfo«, sagte Aedric mit einer Verbeugung. »Der flüchtige Aufseher der Entrolusischen Stadtstaaten erwartet Euch.«
Rudolfo nickte. »Ist er bewaffnet?«
»Dessen bin ich mir sicher.«
Er strich sich über den Schnurrbart. »Und glaubst du, er hat vor, mir etwas anzutun?«
Aedrics Augen verengten sich. »Er hat vor, es zu versuchen, Herr.«
Rudolfo nahm seinen Schwertgurt ab und händigte ihn einem wartenden Adjutanten aus. »Borge mir deine Messer«, sagte er zu Aedric.
Aedric reichte ihm den Gürtel mit den Spähermessern, und Rudolfo gürtete seine schmalen Hüften damit.
Rudolfo wartete darauf, dass Aedric darauf bestand, ihn zu begleiten, und ihm sagte, dass es zu gefährlich sei. Er lächelte innerlich, als der junge Erste Hauptmann nichts dergleichen tat. »Ich werde nach dir pfeifen, wenn ich dich brauche.« Dann blickte er zu den beiden Anatomen, die den Wagen hergefahren hatten. »Salzt Eure Messer und macht Eure Ketten fertig.«
Rudolfo ging zur Tür. »Sethbert!«, rief er.
Er hörte hektisches Krabbeln und das Klappern umstürzender Gegenstände. Er zog die Tür auf, und sein Blick folgte dem Sonnenstrahl, der schräg in den verdreckten Raum fiel. Als Erstes schlug ihm der Gestank entgegen. Verfaulter Fisch und menschliche Ausscheidungen. Rudolfo zog ein seidenes Taschentuch aus seinem Ärmel und hielt es sich über Mund und Nase, um das Parfüm darauf einzuatmen.
»Rudolfo?« Die Stimme klang heiser und weit entfernt, von etwas durchsetzt, das er für Wahnsinn hielt. Noch mehr Gekrabbel, und Rudolfo sah, wie eine schmutzige Gestalt ins Licht kroch. Sethbert begann schon, sein Fett zu verlieren, seine Kleider hingen lose an ihm herab. Er war von Kopf bis Fuß mit Schmutz bedeckt, sein Haar und sein Bart waren schlammverschmiert, seine Kleider zerrissen und grau vor Dreck. Seine Augen waren weit aufgerissen.
»Ja«, sagte Rudolfo. »Ich bin hier. Es ist vorbei. Kommt heraus.«
Sethbert lächelte, Erleichterung leuchtete auf seinem Gesicht. »Ich werde herauskommen. Bald.« Er gab ein übertriebenes Zwinkern zum Besten. »Aber haben sie Euch nicht gesagt, dass ich erst noch vorhabe, Euch zu verletzen?«
Rudolfos Hände schlossen sich um die Messergriffe, sein Blick ruhte auf Sethberts Händen, die beide auf dem schlammigen Boden des Bootshauses ausgebreitet lagen. »Womit wollt Ihr mich verletzen?«, fragte er.
»Mit Wissen«, antwortete der einstige Aufseher.
Rudolfo wartete.
Sethbert fuhr fort. »Ich hatte die Beweise. Ich habe sie gesehen. Ich habe die Tabellen und die Karten gesehen. Sie hatten vor, den Bann zu benutzen, um uns zu versklaven.«
Rudolfo lachte. »Ich habe gedacht, Ihr wolltet mich verletzen, nicht erheitern«, sagte er. »Was hätten die Androfranziner davon gehabt, uns zu versklaven?«
»Ich bin ein Patriot des Lichts«, erklärte Sethbert. Nun kroch der Wahnsinn auch in seinen Blick, und sein Gesicht zuckte in dem Speer aus Licht, den die Morgensonne in den Schuppen warf.
Rudolfo runzelte die Stirn. »Genug davon. Euch geht die Zeit aus, Sethbert.«
Er trat einen Schritt zurück, und beinahe wären ihm die nächsten Worte entgangen, weil Sethbert sie nur flüsterte, leise, aber mit scharfer Deutlichkeit. »Fragt doch die Hure, die Euer Bett teilt, wer den Staatsstreich bezahlt hat, der Euren Eltern den Tod brachte.«
Rudolfo wirbelte herum, die Messer nach vorne gerichtet. »Was habt Ihr da gesagt?«
Sethberts Blick traf den seinen, aber der Aufseher gab kein Wort mehr von sich.
Später, nachdem die Anatome Sethbert im Wagen angekettet hatten, klopfte Rudolfo mit dem Griff seines langen, schlanken Schwertes gegen den Kutschbock und befahl dem Fahrer in seiner schwarzen Robe, auf der Rückreise ein gemächliches Tempo anzuschlagen und in jeder Stadt anzuhalten, auf die sie trafen.
Er hatte gehofft, mit ihnen zu reiten, aber nun wusste er, dass das nicht ging. Sethberts Worte nagten an ihm, obwohl der Aufseher offenbar wahnsinnig war. Sethbert hatte tatsächlich
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