Psalms of Isaak 01. Sündenfall
über sich bringen, sie zu zerstören. Schließlich hatte er sie in ihrem Wachstuch unter einem riesigen, bemoosten Baumstumpf vergraben und den Ort mit ein paar weißen Steinen markiert.
Neb öffnete den Mund, um eine Erklärung abzugeben, aber Petronus deutete auf den Stuhl und sprach als Erster. »Setz dich, Neb.«
Petronus war abgelenkt, blätterte in den Papieren auf seinem Schreibtisch, bis er eine ordentlich gefaltete und versiegelte Nachricht fand. »Ich wollte mit dir sprechen, ehe ich dir das hier gebe.«
Neb sah ihn an und war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es um die Waffe ging. Er sah tiefen Kummer auf dem Gesicht des Mannes. Seine Augen waren düster. »Was ist, Petronus?«
Er hatte darauf bestanden, dass Neb ihn beim Namen nannte, wenn sie alleine waren, aber nun verhärtete sich Petronus’ Blick. »Du wirst mich jetzt als Exzellenz oder Papst ansprechen«, sagte er.
Neb spürte, wie sein Kinn herabsackte und sein Magen rebellierte. »Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Eure Exzellenz?«
Petronus nickte langsam und schloss dabei die Augen. »Du willst mir also zu Diensten sein, Nebios?«
Neb schluckte. Plötzlich hatte er Angst, fühlte sich einsam und unsicher. »Ihr wisst, dass ich alles für Euch tun würde, Vater.« Er war nicht sicher, weshalb er auf die ältere, vertrautere Anrede verfiel. Vielleicht weil er gehört hatte, wie Isaak sie benutzte. Oder vielleicht weil der alte Mann in den letzten neun Monaten diese Rolle eingenommen hatte.
Petronus nickte noch einmal. »Also gut.« Er reichte ihm die Nachricht. »Ich widerrufe deine Stellung im Orden.«
Verblüfft nahm Neb die Nachricht, öffnete sie aber nicht. »Wenn das wegen …«
Petronus schüttelte den Kopf. »Es hat nichts mit dir zu tun.« Ihre Blicke trafen sich. »Dein Einsatz in Windwir und deine Arbeit hier waren lediglich als zeitlich … begrenzt gedacht.«
Neb war nicht sicher, was er fühlte. An der Oberfläche spürte er Erschütterung. Darunter Zorn und Verzweiflung und Verwirrung. »Ich verstehe das nicht. Es gibt noch immer viel Arbeit zu erledigen. Ich kann …«
Petronus’ Stimme erhob sich. »Genug«, sagte er. »Du hast mich deinen Papst genannt.« Seine Augen verengten sich, und er beugte sich vor. »Willst du meine Autorität so schnell infrage stellen?«
Neb schluckte und schüttelte den Kopf, kämpfte mit den Tränen, die plötzlich drohten, ihn aus dem Hinterhalt zu überfallen.
Petronus blickte zur Seite. »Deine Arbeit war beispielhaft, wie mein Schreiben aufzeigt.« Neb starrte ihn an und bemerkte, wie der Blick des Alten überallhin wanderte, nur um dem seinen nicht zu begegnen. »Du bist ein hervorragender junger Mann und ein starker Anführer geworden.« Er hielt inne. »Es ist dir natürlich gestattet, den Rat und die Verhandlung zu besuchen, wenn du es wünschst.« Aber sein Blick verriet Neb, dass es ihm lieber war, wenn er es nicht tat.
Petronus ging wieder dazu über, in den Papieren auf dem Schreibtisch zu blättern, und Neb saß still da und starrte die gefaltete Nachricht in seinen Händen an. Er wollte sie in Fetzen reißen und sie dem Alten entgegenschleudern. Schreien, so laut es ging, dass er sich nicht so leicht abwimmeln lassen würde. Er wollte weinen und an die Seite des alten Mannes laufen, um ihn anzuflehen, ihm zu verraten, worum es wirklich ging, denn er konnte deutlich sehen, dass etwas Finsteres – etwas furchtbar Finsteres – in der Seele jenes Mannes arbeitete, dem er es verdankte, aus dem Wahnsinn jener ersten Tage nach der Verheerung gerettet worden zu sein.
Nein. Petronus hatte ihn nicht gerettet. Die Hoffnung war es gewesen.
Der alte Mann wühlte weiterhin in seinen Papieren und sagte nichts.
Weil es zwischen uns nichts mehr zu sagen gibt, erkannte Neb.
Schließlich stand er auf und ging aus der Schreibstube, floh aus der Residenz in den Wald. Als seine Füße über Gras und Kiefernadeln trampelten, wurde Neb aufs Neue klar, dass seine Träume wahr waren.
»Du wirst dich erheben und ihn in den Gärten der Krönung und Weihe zum Papst und König erklären«, hatte ihm Bruder Hebda in diesem ersten Traum von so vielen eröffnet. »Und er wird dir das Herz brechen.«
Mit gebrochenem Herzen schluchzte Neb unter den Bäumen eines Ortes, der sich nicht mehr wie eine Heimat anfühlte.
Vlad Li Tam
Vlad Li Tam konnte Wolle im Sommer nicht ausstehen, und er fragte sich, wie es irgendjemand sonst aushielt. Der Archäologentalar kratzte auf seiner Haut, besonders
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