Psychologische Homöopathie
McCartney, der merkurische Ex-Beatle). Ich erinnere mich an das Buch Kleinzeit des begabten Schriftstellers Russell Hoban. Darin verliert der Held Kleinzeit seinen Job als Werbetexter, weil er einen unsinnigen Werbespruch geschrieben hat, der irgendwie in sein Gehirn gelangt und als Inspiration maskiert worden war. Er erlebt dann eine schreckliche Zeit im Krankenhaus, wo sich ein Organ nach dem anderen entscheidet aufzugeben. Hoban gelingt es jedoch, daraus eine brillante Komödie zu machen. Statt medizinischer benutzt er musikalische und geometrische Begriffe. So wird sein Diapason gespreizt, seine Schmerzen schießen von A nach B und seine Asymptoten sind verzerrt. (Das ist ein gutes Beispiel für die verbale Geschicklichkeit von Mercurius, der es liebt, mit Worten zu spielen, mit denen er sowohl ehrfürchtig als auch neckisch umgeht.) Während er im Krankenhaus liegt, spricht Kleinzeit mit dem Krankenhaus, dem Tod und sogar mit Gott, aber keiner von ihnen klingt sehr beruhigend (ein Beispiel dafür, daß die Götter eher zu ihrem Boten als durch ihn sprechen?). Schließlich gelingt es ihm durch die Liebe einer Pflegerin, aus dem Krankenhaus zu entkommen (was bisher noch niemand geschafft hat), und er richtet sich in einem leeren Raum ein, wo er nur eine Schreibmaschine und ein paar Blätter Papier hat. Er wartet, und dann ganz plötzlich wird er vom Wort überwältigt, das seinen Samen in Kleinzeit pflanzt. Von nun an kämpft Kleinzeit mit demPapier, verführt es mit kleinen Zeilen und verwüstet es dann mit langen Strophen. Am Ende des Buches schließt er Freundschaft mit dem Tod in Gestalt eines riesigen behaarten Schimpansen, und von Stund an führt er ein glückliches Leben. Diese verrückte, aber brillante kleine Geschichte ist voll von Mercurius-Bildern, und ich bin sicher, daß Hoban selbst Mercurius ist. Da ist zunächst die Werbeagentur. Niemand ist ein besserer Werbetexter als Mercurius. Er kann mit Worten zaubern und manipuliert sie in jeder Form und zu jedem Zweck. Mercurius hat im allgemeinen keine Moral, und das ist in der Welt der Werbung nützlich. Er läuft zu Höchstform auf, wenn es um schnelle, griffige und pfiffige Sprüche geht, und ist der schnellste und erfindungsreichste Wortschöpfer. Dann ist da die merkwürdige Besessenheit im Zusammenhang mit diesen paar unsinnigen Reimen, die ihn nicht nur seinen Job kosten, sondern ihn später auch zu größerer Kreativität führen. Mercurius ist geistig offen und durchlässig genug, um für solche plötzlichen Inspirationen anfällig zu sein und sich von trivialen Gedanken bis zur Verrücktheit ablenken zu lassen, ja mehr noch, sich auch von unsinnigen Gedanken bezwingen zu lassen, die er nicht mehr los wird.
Kleinzeits Gespräche mit höheren Wesenheiten wie Himmel, Krankenhaus und Gott sind wie ein Schwatz mit seinesgleichen, keine kriecherische Demütigung gegenüber einem Gott. Das erinnert an Hermes, der selbst zur Hälfte göttlich ist und den Göttern nicht nur dient, sondern auch auf du und du mit ihnen steht. Schließlich ist Zeus selbst sein Vater. Der Mercurius-Mensch zeigt sich anderen Leuten gegenüber oft merkwürdig distanziert und erweckt den Eindruck, er stehe über dieser Welt. Diese Distanziertheit kann ausgesprochen arrogant wirken, aber beim besser integrierten, reifen Mercurius ist es keine Arroganz, sondern ein Gespür für die eigene Tiefe und Stille, das ihn abseits stehen läßt. Der gesunde Mercurius ist nicht mehr von sich selbst fasziniert, sondern begegnet der Welt eher hilfsbereit, aber still und distanziert, wie ein weiser Beobachter. Diese tiefere Seite von Mercurius wird aus verschiedenen Gründen oft übersehen. Erstens neigt der weisere Mercurius zum Schweigen, bis der richtige Moment gekommen ist, seine Weisheit auszusprechen. Zweitens sind seine unreifen Mercurius-Brüder viel auffälliger und verschaffen dem Typ seinen schlechten Ruf, und drittens muß der Homöopath selbst weise sein, wenn er die Weisheit seiner Patienten erkennen will.
Selbst der reife Mercurius hat meist nur eine schwache Verbindung zu seinem Körper und zur Erde. Mercurius ist nicht sehr geerdet; er lebt überwiegend in seinem Kopf. Das ist auch ein Grund, warum er so distanziert ist und warum sein Geist von Impulsen aus dem Jenseits überwältigt werdenkann, ganz gleich ob sie nun göttlich oder dämonisch sind (Kent: »impulsiver Wahnsinn«). Kleinzeit stellt fest, daß alle seine Organe eins nach dem anderen ausfallen. Er kann sich
Weitere Kostenlose Bücher