Psychologische Homöopathie
beständigste Zwang, den ich bei Anacardium-Patienten erlebt habe, ist ein Impuls, über andere mit sexuellen Gewaltausdrücken zu fluchen. Einer dieser Patienten war ein hochgebildeter junger Mann, dessen hauptsächliche Interessen im Leben spiritueller Art waren. Er übte regelmäßig Meditation und verstand sehr viel von mystischer Philosophie. Seine spirituelle Seite stand in starkem Gegensatz zu der anderen Seite, die er von Geburt an hatte. Selbst als er noch ein kleines Kind war, wußte seine Familie genau, daß etwas mit ihm nicht stimmte, weil er bis zum Alter von zehn Jahren ein Töpfchen zum Wasserlassen benutzte und sich, als er älter wurde, immer noch zu diesem Zweck auf die Toilette setzte. Außerdem fand er es sexuell besonderserregend, Frauen beim Wasserlassen zu beobachten, und diesem Trieb hat er wahrscheinlich auch öfter nachgegeben. (Darüber wollte er aber nicht sprechen.) Seine Hauptbeschwerde bestand jedoch darin, daß er von dem ständigen Zwang gequält wurde, die Menschen in seiner Umgebung mit sexuell obszönen und gewalttätigen Bemerkungen zu schockieren. Seine Bemühungen, dieser dämonischen Seite zu widerstehen, zeigten sich in einer besonderen Steifheit beim Sprechen, wobei er die Lippen angespannt schürzte, während die Augenbrauen meist zusammengezogen waren.
Dieser Mann war intellektuell gebildet genug, um seine Symptome zu rationalisieren, und er drückte keine Schuldgefühle darüber aus. Ein anderer Anacardium-Patient empfand jedoch tiefe Scham über sein Alter ego. Er war weit weniger intellektuell als der erste und hatte es nicht geschafft, seine zwanghaften Gedanken und Impulse auf dieselbe klinische Weise zu rationalisieren. Als ich ihn zum ersten Mal sah, war er akut von seinen inneren Kämpfen gestreßt und fürchtete, wahnsinnig zu werden. Er berichtete ebenfalls, er habe diesen Zwang zum Obszönen, solange er sich erinnern könne; nach den Aufregungen der Scheidung von seiner Frau sei das Gefühl jedoch noch intensiver geworden. Im Laufe der Behandlung wurde seine perverse Unterpersönlichkeit allmählich schwächer und weniger hartnäckig, aber sie war nicht vollständig verschwunden, als er mich zum letzten Mal aufsuchte.
Göttliche Inspiration
Die geistige Spaltung bei Anacardium wird noch stärker, wenn der Gegensatz nicht nur zwischen einer dämonischen und einer normalen Seite besteht, sondern zwischen einer dämonischen und einer göttlichen Seite. Ein Patient, der erst kürzlich zu mir kam, war ein Beispiel für diese mehr klassische Spaltung zwischen Gut und Böse. Er war ein angenehmer, ziemlich nervöser junger Mann, der mir von einem Berater mit der Bemerkung »emotionale Probleme« überwiesen worden war. Zunächst erzählte er mir, er sei oft deprimiert und denke häufig an Selbstmord. Dann sagte er weiter, er habe Angst vor Frauen, weil sie immer versuchten, ihn zu manipulieren, und deshalb meide er sie. Er sagte, er habe Angst vor Sex, weil er denke, Sex sei etwas Unreines. In diesem Stadium hätte er ungefähr jeder Konstitutionstyp sein können, besonders wenn seine Symptome die Folge von sexuellem Mißbrauch in der Kindheit gewesen wären, der oft zu Depressionen mit Selbstmordneigung, Angst vor dem Geschlecht des Mißbrauchers und einer generellen Abneigung gegen Sex führt. Dann begann mein Patient jedoch, in mehr religiösen Begriffen zusprechen. Er sagte, er fühle sich »von Gott berufen«, anderen das Licht zu bringen, und er fühle sich Gott sehr nahe. Dieser Widerspruch zwischen der suizidalen Depression und der göttlichen Inspiration ließ mich an einen Konstitutionstyp auf der Grenze zur Geisteskrankheit denken. Mein Patient sagte dann, vor ein paar Jahren habe er einen Nervenzusammenbruch gehabt, bei dem er sich von »Geistern umgeben« gefühlt habe (Kent: »Wahnideen – sieht tote Personen«, »Wahnideen – sieht Teufel«). Nach dieser Erfahrung hatte er das Gefühl, er sei halb göttlich und halb dämonisch (Kent: »Wahnideen, bei denen er sich als doppelt empfindet«). Er fühlte sich von einem der Geister geleitet und geschützt, während die anderen ihn drängten, obszöne Dinge zu tun. Ich überredete ihn behutsam, mehr zu erzählen, und machte ihm deutlich, daß ich verstand, was er sagte, und weder überrascht noch beunruhigt war. Er berichtete, wenn er die Straße entlanggehe, fühle er sich gedrängt, die Passanten wüst zu beschimpfen. Außerdem habe er Phantasien, in denen er auf einer belebten Straße alle Leute mit
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