Psychologische Homöopathie
Benzin übergieße und dann anzünde. Der Gegensatz zwischen dem Göttlichen und dem Dämonischen war für ihn sehr belastend. Er fühlte sich dadurch von ewiger Verdammnis bedroht, und selbst die geringste moralische Entscheidung wurde zu einer Art Kampf auf Leben und Tod, bei dem es darurn ging, welche Seite seines Willens die Oberhand gewinnen würde. Er arbeitete beispielsweise als Taxifahrer, und wenn er einem Fahrgast begegnete, der auf ein anderes Taxi wartete, das sich verspätet hatte, dann zerbrach er sich verzweifelt den Kopf darüber, ob er seinem Kollegen den Fahrgast »stehlen« sollte oder nicht. Er hatte das Gefühl, daß jede seiner Handlungen bedeutsam war, daß er dadurch entweder zum Gerechten oder zum Verdammten wurde und daß alles, was in seinem Leben geschah, vom kleinsten bis zum größten Ereignis, entweder ein Geschenk des Himmels oder eine Strafe der Hölle war.
Ich gab diesem Mann Anacardium 10M, und ein paar Wochen später berichtete er, die obszönen Impulse seien zu flüchtigen Gedanken verblaßt, die er leicht aus seinem Bewußtsein vertreiben könne, und seine Depression habe sich gebessert. Er war immer noch ziemlich besessen von Gut und Böse, wirkte aber deutlich weniger belastet und stärker auf die Realität bezogen. Solche Fälle werden vielleicht niemals vollständig geheilt, aber mit Hilfe des Simillimum können sie in einem relativ gesunden Zustand bleiben und die Exzesse vermeiden, für die sie konstitutionell anfällig sind.
Gewalt
Mir ist noch kein Anacardium-Patient begegnet, der zugegeben hätte, daß er seine gewalttätigen Impulse auslebt, aber das Potential ist eindeutig vorhanden. Kent führt Anacardium in verschiedenen Gewaltrubriken auf, was darauf hinweist, daß der Anacardium-Patient nicht immer seinen gewalttätigen Impulsen widersteht. Mein ehemaliger Taxifahrer sagte, er habe das Bedürfnis, Frauen anzuschreien, und ergänzte, Frauen würden einen Mann respektieren, der sie anbrülle. Diese Feststellung läßt mich annehmen, daß solch ein Mann leicht zu großen Grausamkeiten fähig sein könnte, wenn sein Realitätsverlust nur ein bißchen weiter fortschreitet.
Paranoia
Kent führt Anacardium in verschiedenen paranoiden Rubriken auf einschließlich »Verfolgungswahn«. Der einzige klare Hinweis, den ich darauf gefunden habe, ist die Angst vor Frauen in dem oben erwähnten Fall. Die meisten Konstitutionstypen an der Grenze zur Geisteskrankheit sind anfällig für Paranoia, und Anacardium ist dabei anscheinend keine Ausnahme. Eine leichtere Form von Angst findet man bei Anacardium-Patienten oft in Gestalt von mangelndem Selbstvertrauen (Kent: »Mangel an Selbstvertrauen«), Ein Patient, der auf das Mittel ansprach, sagte anfangs, er sei gewöhnlich zu ängstlich, um in einer Gruppe zu reden, es sei denn, er fühle sich göttlich inspiriert und empfinde dadurch größtes Selbstvertrauen (Kent: »Manie«).
Geistige Verwirrung
Die meisten Anacardium-Patienten klagen über ein gewisses Maß an geistiger Verwirrung. Einige sagen, ihr Gedächtnis sei sehr schlecht (Kent: »Vergeßlichkeit«), während andere berichten, es falle ihnen schwer, sich auf Lesen oder sogar Fernsehen zu konzentrieren. Das ist kaum überraschend, wenn man an den Konflikt denkt, der sich in der Psyche von Anacardium abspielt. Es ist eher eine Art Kommunikationsfehler, der in einem Land unter Bürgerkriegsbedingungen vorkommen kann. Einige meiner Anacardium-Patienten waren geistig recht gesund und hatten keine psychotischen Züge. In diesen Fällen war das führende Geistessymptom ein innerer Kampf mit der eigenen Entscheidungsunfähigkeit oder mit schwierigen Entscheidungen im Leben.
Ein Mann suchte mich vor allem deshalb auf, weil er es so belastend fand, über eine bestimmte Richtungsänderung in seinem Leben entscheiden zu müssen. Er hatte zuvor als Handelsvertreter gearbeitet, war damit jedoch nicht zufrieden gewesen. Als es nun darum ging, über mögliche Alternativen nachzudenken, geriet er in eine merkwürdige, sehr intensive Agonie aus Ängsten und Entscheidungsunfähigkeit. Er bot das Bild eines äußerst belasteten Menschen und sprach über seine Entscheidungsschwierigkeiten, als ob er davon regelrecht gemartert würde. Dieses extreme Leid beim Sprechen über eigene Probleme findet man bei Aurum, aber Aurum hat nicht dasselbe Ausmaß an Entscheidungsunfähigkeit, und mein Patient war an sich nicht depressiv. Er sagte, es sei ihm immer schwergefallen, Entscheidungen zu
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