Psychologische Homöopathie
Konzentrationsschwierigkeiten treten auf, man wählt die falschen Worte, und die Erinnerung wird bruchstückhaft und ungenau. Der Mensch erkennt seinen geistigen Verfall und ist gewöhnlich beunruhigt. Das wiederum führt dazu, daß sich die Gedanken geradezu überschlagen, und daraus entsteht ein Gefühl von Eile (Kent: »hastig beim Gehen«). Wann immer Argentum sich nervös fühlt, gerät er in Eile, ähnlich wie Lachesis und Medorrhinum.
Wenn der Verstand von Argentum immer unberechenbarer wird, entwickelt sich die Furcht zu einem größeren Problem. Argentum-Menschen können unter allen möglichen Ängsten leiden. Besonders charakteristisch ist die Furcht, wenn sie an einem hohen Gebäude hinaufsehen. Viele Argentum-Typen haben dieses Gefühl bis zu einem gewissen Grad, auch wenn sie geistig relativ stabil sind, und dieses Symptom ist eine zuverlässige Bestätigung für das Mittel. Einige Patienten wissen nicht, wovor sie sich fürchten, aber viele sagen, sie haben Angst, daß hohe Gebäude auf sie herabfallen werden. Das spiegelt die schwankenden Fundamente des eigenen Verstandes wider (genauso wie Thujas Träume vom Fallen seinen Schuldgefühlen und der Angst vor Strafe entsprechen).
Eine andere verbreitete Furcht ist die Klaustrophobie (obwohl für diese Art von Phobie Natrium muriaticum weit häufiger benötigt wird als Argentum). Auch hier hat der Patient wieder das Gefühl, die Mauern würden auf ihn herabstürzen, und so gibt es eine enge Verbindung zur Furcht vor hohen Gebäuden.
In einem solchen Zustand von Furcht hat der Patient natürlich den Eindruck, die Welt sei kein sicherer Platz, und daraus können Gefühle von Paranoia entstehen (Kent: »Furcht – vor Menschen«). Ich erinnere mich an einen klassischen Argentum-Fall, ein junger Mann, der so nervös war, als er mich aufsuchte, daß er alle paar Sekunden mitten im Satz aufhörte zu sprechen, weil er sich erst wieder sammeln mußte, um weiterreden zu können. Wenn irgend jemand an der Tür vorüberging, dachte er, der Betreffende würde uns belauschen, und er wollte die Konsultation plötzlich beenden und sehr aufgeregt hinausgehen. Nachdem er Argentum nitricum 10M bekommen hatte, wurde er innerhalb weniger Tage sehr viel ruhiger und konnte ohne Furcht vor neugierigen Lauschern über sich sprechen. Seine Paranoia war in gewisser Weise das realistische Gefühl, daß die Leute das Chaos in seinem Gehirn bemerkten und daß sie ihn für verrückt hielten und ablehnten. Dieser spezielle Patient zeigte auch einen Zug, den ich nur einige Male bei Argentum gesehenhabe und für den Argentum kursiv in Kents Repertorium aufgeführt wird: extreme Gewissensbisse (Kent: »Angst – mit Schuldgefühlen«). Er entschuldigte sich häufig dafür, daß er soviel von meiner Zeit in Anspruch nahm, und er bezeichnete sich oft als schlechten Menschen. (Das bezog sich teilweise auf seine frühere sexuelle Promiskuität.)
Agoraphobie ist eine andere charakteristische Furcht von Argentum. Sie kann mild sein und den Patienten nur auf weiten, offenen Plätzen belasten, aber die schwere Form kann ihn auch daran hindern, überhaupt das Haus zu verlassen. (Agoraphobie kann bei jedem Menschen auftreten, der das Gefühl hat, daß er geistig zusammenbricht, denn weite, offene Plätze rufen den Eindruck hervor, daß man ausgeliefert und verwundbar ist.) Angst vor dem drohenden Tod tritt manchmal ebenso auf wie Furcht vor Krankheiten (wie bei Arsenicum).
Argentum ist eins der wichtigsten Mittel gegen Erwartungsangst. (Kent: »Wenn er etwas vorhat oder etwas zu tun versprochen hat oder etwas Bestimmtes erwartet, so hat er Angst.«) Es ist, als ob der schon zerrüttete Verstand nicht mit der Ungewißheit fertig wird, nicht zu wissen, was bei der zukünftigen Aufgabe oder dem zukünftigen Ereignis herauskommen wird. Das Ereignis mag so unbedeutend sein wie das Treffen mit einem alten Freund oder der Arztbesuch wegen einer geringfügigen Beschwerde. Doch die Phantasie kann mit Argentum durchgehen, und er stellt sich dann gewöhnlich die schlimmsten Dinge vor. Wie Lycopodium kann Argentum ängstlich werden, wenn er meint, daß irgend etwas von ihm erwartet wird, oder wenn er etwas auf eine bestimmte Weise durchführen soll. In solchen Zeiten können die Ängste extrem werden und von Herzklopfen und Durchfällen begleitet sein. Das hat mit einer charakteristischen Sorge zu tun, daß man Fehler machen könnte, was oft ganz unrealistisch ist, zumindest bei den gesünderen
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