Psychologische Homöopathie
deutlich stabiler, weniger erregbar, und er entwickelte sogar das Bedürfnis, sich mit seiner neuen Freundin irgendwo niederzulassen.
Auf seiner Suche nach Ablenkung gerät der wilde Staphisagria oft an bewußtseinsverändernde Drogen. Die beiden Patienten, die ich am besten kannte, nahmen reichlich Drogen, und einer von ihnen nahm nicht nur selbst eine Mischung von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln, sondern verdiente auch mit ihrem Verkauf etwas Geld. Wie die meisten Staphisagrias war er eine empfindsame Seele, und er rechtfertigte seinen Drogenhandel, indem er die bewußtseinserweiternden (und deshalb befreienden) Effekte seiner Ware hervorhob. Der zynische, harte Drogendealer, der weiß, daß er seine Kunden mit dem Stoff umbringt, und sich nicht darum schert, ist wahrscheinlich kein wilder Staphisagria. Es ist der gewohnheitsmäßige Drogenbenutzer, der gelegentlich auch ein bißchen Hasch verkauft, der am wahrscheinlichsten Staphisagria ist.
Ich habe viele dieser Menschen behandelt, und alle wirkten irgendwie »verloren« und neigten dazu, einfache Lösungen für ihre Probleme zu suchen, beispielsweise einfach abzuhauen und irgendwo anders ein neues Abenteuer zu erleben, statt mit den Drogen aufzuhören, zur Einsicht zu kommen und eine regelmäßige Arbeit zu finden. (Ein hervorragendes Porträt des wilden Staphisagria findet man im Film Gefährliche Brandung in der Gestalt von Bodhi, gespielt von Patrick Swayze. Bodhi ist ein fanatischer Surfer, dem keine Welle hoch genug ist, der auf Partys Kokain schnupft, eine Frau nach der anderen verführt und dann wieder fallenläßt und die Philosophie der sechziger Jahre mit Bewußtseinserweiterung, Freiheit und Zen vertritt. Sein Charisma zieht eine Gruppe von Gefolgsleuten an, die bereit sind, sich auf Risiken einzulassen und seine absolute Verantwortungslosigkeit als persönliche Freiheit zu interpretieren. Bodhi vereint seinen Idealismus mit seiner Abenteuerlust, indem er eine Serie von Banküberfällen inszeniert. Dabei geht es ihm weniger um das Geld, als vielmehr darum, die Obrigkeit in Verlegenheit zu bringen, und vor allem um den Nervenkitzel, der damit verbunden ist. Wenn etwas schiefläuft, ist er entschlossen genug, über Leichen zu gehen, und verrückt genug, nur wenig Reue zu empfinden, aber er hat im allgemeinen ein weiches Herz und ist immer bereit, einem Freund zu helfen. Wie alle wilden Staphisagrias ist er voller Widersprüche, zu denen nicht zuletzt seine Sensibilität und seine Verantwortungslosigkeit gehören.)
Der wilde Staphisagria wird gelegentlich auf seinen Idealismus verweisen, um seine gefährlichen Aktivitäten zu rechtfertigen. Ich habe einmal einenMann von Ende Dreißig wegen seiner Verdauungsstörungen behandelt. Er wirkte jungenhaft und hatte eine sanfte, freundliche Art. Er war sehr gesellig und sprach auf eine entspannte und humorvolle Art, die auf andere angenehm wirkte. Als ich ihn kennenlernte, hatte er gerade ein Pause zwischen zwei Aufträgen als Pressefotograf. Er hatte ein abwechslungsreiches, unruhiges Leben hinter sich und schien nicht besonders daran interessiert zu sein, sich irgendwo niederzulassen. Er erzählte mir, er fühle sich am lebendigsten, wenn er Fotos für Kriegsberichte mache und mittendrin sei, so daß ihm die Kugeln und Raketen um die Ohren flogen. Als ich ihn das nächste Mal sah, war er in Tränen aufgelöst. Es war wieder ein Konflikt irgendwo ausgebrochen, aber er hatte nicht das Geld, dorthin zu fliegen und seine Fotos zu machen. Ich fragte ihn, warum er sich darüber so aufrege, und er sagte, er wolle einfach da sein, wo etwas los sei. Außerdem wolle er den Bauern helfen, die mitten in diesem Konflikt lebten und am meisten zu leiden hätten. Er schien tatsächlich vor lauter Frust und Bedauern außer sich zu sein, aber ich hatte den Eindruck, daß es ihm in Wirklichkeit nicht so sehr darum ging, den Bedürftigen zu helfen, sondern mehr um das aufregende Gefühl, da zu sein, wo etwas passierte. Ich gab ihm Staphisagria 10M, und seine Verdauung besserte sich sehr schnell, aber ich habe ihn danach nicht mehr oft gesehen, so daß ich nicht weiß, ob er fähig oder bereit war, lange genug auf Kaffee und Drogen zu verzichten, damit die Arznei seine Persönlichkeit besser ins Gleichgewicht bringen konnte.
Staphisagria ist ein sehr sexueller Typ (Kent: »lasziv«, »Ausschweifung«, »Nymphomanie«), und das gilt besonders für den wilden Typen. Es gibt eine sehr enge Verbindung zwischen Lust und
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