Psychologische Homöopathie
meist als Einzelgänger dargestellt, der vor einem schrecklichen Geheimnis davonläuft, das oft damit zu tun hat, daß er gewaltsam und gezielt fast zu Tode gequält wurde. Er verbirgt seine Augen unter dem Schatten seiner Hutkrempe, spricht nur das Notwendigste, um Whisky zu bestellen oder ein Zimmer zu mieten, und zieht weiter, bevor sich irgend jemand für ihn interessiert. Im typischenFall rächt sich unser Antiheld auf dem Höhepunkt des Films an seinen Unterdrückern und erlangt auf diese Weise wieder ein gewisses Maß an Seelenfrieden. Der unterdrückte Staphisagria muß seinen Ärger spüren und ausdrücken, aber nur wenn ihm die innere Konfrontation mit seinem ursprünglichen Unterdrücker (gewöhnlich ist das sein Vater) gelingt und er seine Wut auf den eigentlichen Verursacher richtet, kann er sich sowohl von der Wut als auch von der Furcht befreien, die ihn so verkrüppeln. Seine Wut auf andere zu projizieren mag ihm zwar mehr Selbstvertrauen geben, aber dadurch werden Wut und Angst nicht dauerhaft beseitigt.
Es überrascht nicht, daß der unterdrückte Staphisagria meist sehr mißtrauisch ist (Kent: »argwöhnisch«). Er zögert, dem Homöopathen allzuviel von sich selbst preiszugeben, und er neigt dazu, seine Furcht zu verschleiern, indem er sehr rational spricht. Staphisagria ist ein relativ mentaler oder intellektueller Typ, und viele unterdrückte Staphisagrias ziehen es vor, in ihrer Freizeit zu lesen oder zu lernen, als sich mit anderen Leuten zu treffen. Einige entwickeln auch besondere praktische Fertigkeiten, weil sie viel herumziehen und vor menschlichen Kontakten in die Wildnis flüchten, wo sie lernen, für sich selbst zu sorgen. Natrium muriaticum kann sich auf ähnliche Weise in die Isolation zurückziehen und argwöhnisch jeden menschlichen Kontakt meiden, so daß die Unterscheidung zwischen Natrium und einem unterdrückten Staphisagria manchmal sehr schwierig ist. Im allgemeinen kann Natrium sich besser ausdrücken, und seine Gefühle sind klarer, selbst wenn er selten darüber spricht. Alle Staphisagrias wirken meist verwirrt, wenn sie über ihre Gefühle sprechen, und sie leiden mehr unter intellektueller Beeinträchtigung als unter Depressionen. Innerlich führen sie ständig einen unterbewußten Kampf zwischen Furcht und Wut, und die geistige Anstrengung, die nötig ist, um sich dessen nicht bewußt zu werden, hinterläßt manchmal eine geistige Leere oder Verwirrung, besonders wenn die aktuellen Umstände alte Gefühle wieder aufleben lassen. Die Gesichtszüge können helfen, zwischen Natrium und dem unterdrückten Staphisagria zu unterscheiden. Bei den meisten Staphisagrias findet man feine Fältchen, die von den Augenwinkeln ausgehen, während das Gesicht ansonsten oft faltenfrei ist und dadurch jungenhaft wirkt, noch stärker als bei Lycopodium.
Wenn man einem unterdrückten Staphisagria eine Hochpotenz der Arznei gibt, kann die Wirkung enorm sein. Ich habe erlebt, wie solche Leute innerhalb etwa einer Woche immer weniger zurückgezogen und gehetzt wirken und statt dessen zunehmend offen und spontan werden. Man kann tatsächlich sehen, wie die Lebenskraft in diese grauen, müden Gesichter zurückkehrt,wie sie weicher werden und vielleicht zum ersten Mal nach Jahrzehnten natürlich lächeln. Im Verlauf dieses Prozesses können sie etwas von der unterdrückten Wut ihrer Kindheit erleben, was sich durch impulsive Wutanfälle oder in der sicheren Umgebung einer therapeutischen Sitzung äußert (ich rate meinen wütenden Patienten, in solchen Situationen auf Kissen einzuschlagen und zu schreien), oder sie können diese Gefühle durch anstrengende körperliche Arbeit auflösen. Vielleicht gelingt es ihnen nie, ihre Wut und Angst vollständig wahrzunehmen und aufzulösen, aber mit Hilfe der Arznei können sie genügend Mut und Selbstbewußtsein aufbauen, um ihr Leben emotional und beruflich weiterzuentwickeln, Wurzeln zu schlagen und auf die alte Taktik des Weglaufens zu verzichten.
Der sanfte Staphisagria
Der sanfte Staphisagria hat viele Charakteristika der anderen drei Typen, aber darüber hinaus noch einige spezifische Züge. Im Hinblick auf die soziale Anpassung ist er der erfolgreichste aller Staphisagrias, und gerade diese »Normalität« macht es schwer, ihn zu erkennen. Außerdem ist keiner der vier Typen sehr verbreitet, deshalb kann der unerfahrene Homöopath sie nicht so leicht durch eigene Erfahrung kennenlernen, sondern ist auf genaue Beschreibungen angewiesen.
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