Psychotherapeuten im Visier
oder gar anzukündigen, den eigentlich schon von den Kollegen als therapeutisch hoffnungslos abgeschriebenen Patienten in Kürze mit seiner Methode von allen Beschwerden befreien zu können.
Diesen Therapeutentypus habe ich nicht erfunden, es gibt ihn – besonders in den großen Universitätsstädten.
Was also macht den humorigen oder den beißenden Kern eines Cartoon-Statements aus? Der Tenor ist eigentlich immer derselbe: die schillernde Situation, warum der Patient überhaupt den Weg auf die Couch gesucht hat und dann die darauf antwortende gestische Pathosformel des Psychiaters, der sich auch der absurdesten Selbstwahrnehmung des Patienten in aller Ernsthaftigkeit annimmt. Nicht der Patient allein steht mit seiner als lächerlich-harmlos empfundenen Situation für den Betrachter da, sondern in besonderer Weise der Therapeut, der einem solchen Setting noch eine behandlungsbedürftige Ernsthaftigkeit beimisst. Wer ist also »verrückt«, der Patient oder sein therapeutisch agierendes Gegenüber?
Bei der Durchsicht meiner über die Jahre gesammelten vielen Cartoons zum Thema Psychologie und Therapie habe ich nicht einen einzigen gefunden, der ein spezifisches, echtes psychiatrisches Krankheitsbild böse auf die Schippe genommen hat – also Depression, Phobien oder gar die Schizophrenie. Nein, Karikaturisten und Cartoonisten sind als Künstler feinfühlig genug, niemals Spott über das wirkliche Leiden kranker Menschen auszuschütten. Für mich eine interessante Bilanz – die eigentlich Bösen sind nicht die kommentierenden Beobachter, sondern gerade die Handelnden selbst, die die Beobachtung auf sich ziehen. Diesen feinen Grat nie zu überschreiten, macht den guten Cartoonisten aus, und die Psychotherapie liefert ihnen dafür die besten und reichlich Motive.
Und warum steht meist Freud im Mittelpunkt des karikierenden Interesses? Als Begründer – in diesem Fall besser: als Erfinder – der Psychoanalyse hatte er eine klare Vorstellung
davon, welche seelischen Erfahrungen einen Menschen auf der einen Seite besonders befähigen, auf der anderen aber auch – häufig ein Leben lang – derart formen und verfolgen, dass er sich aus der von ihm als leidvoll empfundenen Situation nicht mit eigener Kraft befreien kann. Allein die Psychoanalyse wäre in der Lage, das substanziell leidvoll Prägende in einem Nacherleben – wie ein zweiter Aufguss der eigenen Erfahrungen und Begegnungen seit früher Kindheit, aber auch in der Adoleszenz – zu neutralisieren, indem die seelischen Wunden über den Prozess der Analyse langsam verheilen und so der Weg für ein suggestionsfreies Leben ohne seelischen Ballast geebnet wird. Ein wie wir wissen oft langer und schmerzhafter Prozess, bei dem die Frage nach dem Sinn und vor allem nach dem Erfolg erlaubt sein muss. Das Thema Behandlungsdauer ist daher ein gern gewähltes Motiv der Cartoonisten: den kahlköpfigen Greis auf der Couch liegend, hinter dessen Kopf sitzend der Psychiater mit einem Block auf den Oberschenkeln, der über die gerade formulierten ersten Analerfahrungen seines Patienten stirnrunzelnd sinniert.
Wirklich gute Karikaturen richten ihren sezierenden Blick nicht auf die Vergangenheit, sondern nehmen seismografisch in der nahen oder fernen Zukunft liegende Ereignisse oder das lohnenswert zu kommentierende Verhalten einzelner interessanter Personen mit siebtem Sinn ahnend vorweg. Die besondere Könnerschaft liegt darin, das Sujet so zu wählen und so zu überzeichnen, das sich der Betrachter an den Kopf fasst und denkt: Ja, diesen Gedanken hatte ich doch auch schon, habe ihn aber nicht weiterverfolgt und zeichnerisch darstellen könnte ich ihn ohnehin nicht. Der Karikaturist ist also dem Betrachter nicht meilenweit, sondern oft nur einen einzigen Schritt gedanklich voraus. Diese geringe Distanz
macht das große Überraschungsmoment in der Wahrnehmung eines Cartoons aus.
Was aber ist nun das besondere, von anderen Sujets unerreichte Interesse an Cartoons, die sich immer wieder psychiatrische und psychologisierende Themen vornehmen? Antwort: Es ist die Undurchsichtigkeit einer therapeutischen Behandlung mit ihren unendlichen Facetten, Skurrilitäten, boshaften Schilderungen und erschütternden Erfahrungen, denen sich so viele Hilfe suchende Patienten ausgeliefert sahen – aber wahrscheinlich sind die Berichte von nahen Angehörigen als Ausgangspunkt eines Cartoons noch beißender. Das Karikaturisteninteresse ist also ein bohrender Finger in der Wunde so vieler
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