Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht
zwei, drei Generationen. Die gegenseitige Unterdrückung von Individualität und Handlungsfreiheit nimmt im selben Maße ab, in dem junge Menschen Dinge tun, von denen die Erwachsenen früherer Generationen nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Die Phase in der Familie, die von dem geprägt wird, was wir Kindererziehung nennen, dauert nur noch cirka zehn Jahre lang. Im Alter von neun, zehn Jahren werden Kinder heute als »Tweens« (» in-betweens «) bezeichnet, und obwohl die Familie und die Eltern immer noch eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielen, beginnen sie sich in diesem Alter auf allen Ebenen mit den Teenagern zu identifizieren. In ihrer Funktion als Rollenvorbilder haben die Eltern ausgedient, wenngleich diese Funktion tief in ihrem Bewusstsein verankert ist. Zu dieser Zeit erhalten sie die ersten konkreten verbalen Rückmeldungen ihres Kindes, wie es um ihr eigenes Verhalten als Eltern und Menschen bestellt ist.
An Erziehung nehmen alle Kinder immer Schaden
Der Traum vom »Naturkind«, das ohne Manipulation, Kränkung und Unterdrückung - also ohne jeden Einfluss der Kultur, die es umgibt - aufwächst, ist eine Illusion. Niemand, der zehn Jahre lang in einer bestimmten Gesellschaft und einer bestimmten Familie gelebt hat, kommt ungeschoren davon, und die Grenze zwischen Vernachlässigung und Unterdrückung ist so hauchdünn, dass weder Eltern noch Lehrer das ideale Gleichgewicht finden.
Die Zeit, die unsere Kinder gemeinsam mit uns verbringen, fügt ihrer Seele kleinere und größere Schäden zu, doch glücklicherweise haben sie ein Leben lang Zeit, sich ihrer Heilung zu widmen. Aber je freier und gesünder sich Kinder entwickeln dürfen, desto direkter werden sie als Jugendliche ihren Eltern - im Positiven wie im Negativen - die Rechnung präsentieren. Es ist dieselbe Entwicklung, die auch in Paarbeziehungen zu beobachten ist: Das Feedback der Frauen an ihre Partner ist im Lauf der Zeit sehr viel offener und direkter und damit auch wertvoller für die Partnerschaft geworden.
Eltern werden in gleicher Weise, wenn auch in verschiedenem Grad, von der Kultur ihres Landes, ihrer Religion und sozialen Klasse geprägt, doch sollte man sich stets vergegenwärtigen, dass die Kultur bei den Erwachsenen »zwischen den Ohren« sitzt und sie sich daher relativ frei zu dem verhalten können, was »man« tut und was nicht. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn der Kern der häufigsten Konflikte in Familien mit Jugendlichen ist der Gegensatz von Kultur und Natur. Zum Beispiel:
❯ Welche Regeln und Grenzen soll man seinem 14-jährigen Kind setzen, und sind diese Regeln der Individualität des Kindes auch angemessen?
❯ Welche Bedeutung misst »man« Schule und Ausbildung zu, und wie stehen wir dazu?
Diese Konflikte, mit denen viele Jugendliche ihre Eltern mehr oder minder bewusst konfrontieren, sind für beide Seiten schmerzhaft und kompliziert. Die Eltern von Familien mit Migrationshintergrund merken dies in besonderem Maße, wenn ihre Kinder nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, die Werte der eigenen Familie zu respektieren und sich zugleich der Realität der Gesellschaft, in der sie leben, anzupassen.
Eltern begegnen diesen Konflikten in der Regel auf drei verschiedene Arten:
1. Sie verteidigen ihre eigenen Werte mit Zähnen und Klauen und versuchen, ihre Kinder zu manipulieren bzw. zur Konformität zu zwingen.
2. Sie versuchen, sich mit faulen Kompromissen durchzulavieren, d.h. sie gehen den Weg des geringsten Widerstands, in der Hoffnung, die Anzahl der Konflikte dadurch zu begrenzen. Diese Strategie zieht unweigerlich Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen nach sich und führt auf lange Sicht oft zu häufigeren und schwerwiegenderen Konflikten.
3. Sie entziehen sich dem Konflikt und werden gewissermaßen selbst zum Kind, um den Kindern »auf Augenhöhe« zu begegnen. Mit dieser Strategie berauben sie diese der Sparringspartner, die sie so dringend benötigen.
Meiner Erfahrung nach führen diese drei Wege nicht zum Ziel, weil sie die Beziehung zwischen Eltern und Kindern untergraben. Aufseiten der Kinder in Form von Angst, Zorn und Unsicherheit, wohingegen die Eltern an Unzufriedenheit, Frustration und Schuldgefühlen leiden.
Konflikte als Geschenk und Herausforderung
Die Alternative besteht darin, bestehende Konflikte als Geschenk und Herausforderung zu betrachten. Als Geschenk, weil wir nach zehn bis zwölf Jahren, in denen wir in voller Verantwortung und von ganzem Herzen versucht
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