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Puck

Puck

Titel: Puck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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ein Ausgestoßener. Was waren das für Leute, die hier vor vollen Fleischtellern saßen? Ein paar einheimische Kaufleute kannte ich. Die konnten natürlich tauschen. Einige Vertreter und ein paar Neue, die Bayerisch mit härterer Klangfarbe sprachen. Geflüchtete Bonzen aus Nordbayern, taxierte ich. Der Wirt kam und stellte mir mit seinen rotfeuchten Bierfingern einen Teller hin, aus dem es sauer roch: eine farblose Brühe, in der ein paar Kartoffelstückchen schwammen. Immerhin war eine ganze Anzahl zerschnittener Mohrrüben dabei. Das war auch etwas, was wir auf dem Berg nicht mehr bekamen. Ich schüttete das ganze Stammgericht in die Kanne und bestellte, diesmal für mich selbst, noch ein Stammgericht und dazu ein Bier. Der Specknacken, der an seinem Kotelett fraß, beobachtete mich mit mitleidiger Bosheit. Ich machte mich an die Mohrrüben — und hielt erstarrt inne. Jede einzelne von ihnen hatte nur einen dünnen genießbaren Mantel. Die ganze Mitte bestand aus einem faserigen Stück. In meinem ganzen Leben hatte ich nicht geahnt, daß es solche Mohrrüben gab! Ich hielt Puck eine hin. Er gnaupelte daran herum, spuckte den Rest aus und sah mich mit traurigem Vorwurf an.
    Da war sie wieder in mir, die dumpfe, animalische Wut von gestern, als wir den Gegenwert unserer kostbaren Löffel in den Schnee legten. Ich hätte aufstehen, um mich schlagen, den Gästen, dieser fettgefressenen Schieberbande, die Teller ins Gesicht schütten mögen. Ich rief nach dem Wirt und zahlte.
    In diesem Augenblick begann eine Sirene zu heulen, die einzige des Ortes, die auf dem Dach des Feuerwehrhauses montiert war. Sofort verstummte die Unterhaltung.
    »Alarm?« fragte eine Stimme. »Hier?« Dann war der größte Teil der Gäste auf den Beinen und stürzte an mir vorbei in den Keller. Gläser wurden umgeworfen, Teller von hastig angezogenen Mänteln vom Tisch gefegt, alles drängelte, man beschimpfte sich. Der Wirt schloß hinter der Theke die Fächer mit den Flaschen ab: »Nur keine Aufregung! Die suchen doch hier nichts! Ist ja nichts da!« Ich saß, geschwollen von boshafter Freude. Wie sie plötzlich zitterten! Die sollten mal eine Berliner Bombennacht mitmachen oder eine in Köln, Hamburg oder München!
    In diesem Augenblick raste etwas so niedrig über den Bahnhof hinweg, daß es fast das Dach abriß. Sekunden später war ziemlich weit weg eine dumpfe Explosion. Der Boden schütterte: Jagdbomber, konstatierte ich.
    »Hallo — hollo...«, stotterte der Wirt. Er hob mit zitternden Händen und gekrümmtem Rücken eine Falltür hinter der Theke und verschwand. Ich sah mich in dem leeren Lokal um. Puck hatte sich an mein Bein geklebt und sah mich fragend an.
    Dann begriff ich die Situation, und die heiße Wut von gestern war wieder da. Vor mir, auf dem Teller des Specknackigen, lag der Knochen mit einem dicken Patzen Kotelettfleisch daran. Ich packte ihn und verstaute ihn in der Kanne. Dann sprang ich auf. Wieder sauste es über das Dach weg — zwei-, drei-, viermal. Unter mir im Keller schrie eine Frau hysterisch. Die würden bestimmt eine Weile unten bleiben!
    Der Mann mit dem Mittelscheitel hatte noch eine halbe Wurst auf dem Teller — in die Kanne! Auch der Rest vom Gulasch mußte dran glauben. Sauce und Kartoffeln kratzte ich hinterher in die Kanne. Ich machte tabula rasa. Alle abgeknabberten Knochen packte ich in eine Zeitung und steckte sie mir für Puck in die Tasche.
    Dann nahm ich das Puckchen an die Leine und ging mit meiner Kanne davon. Über mir vermeinte ich die Flügel der ausgleichenden Gerechtigkeit sausen zu hören. Es war aber nur ein verspäteter Jagdbomber, ein seltsames Ding mit zwei Rümpfen, das nach Süden flog. Die Straßen waren leer und tot. In den Rinnsteinen floß Schmelzwasser.
    Am nächsten Morgen blieben wir beim Frühstück hocken, die alte Dame, wir zwei und Puck. Am Abend zuvor hatten die Frauen aus meiner Bahnhofseroberung eine wunderbare Suppe gezaubert, und diese wiederum bewirkte eine nachdenklich geglättete Seelenstimmung.
    Wir saßen im Erker. Tiefer unten, breit und behäbig, lag der Lampersberger-Hof, im Tal die Stadt, unberührt und still wie im tiefsten Traum. Puck, der bis dahin unter seinem Deckchen geschlafen hatte, schüttelte es ab, reckte sich, gähnte, gab dem Frauchen und mir einen flüchtigen Kuß und steuerte dann die Professorin an. Er machte auch ihr eine Verbeugung, warf sich dann ihr zu Füßen und wischte sich mit den Pfoten die Augen. Die Professorin sah uns

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