Puerta Oscura - 01 - Totenreise
wem Sie sprechen.«
Seine Stimme klang feindselig. Marguerite musste feststellen, dass er sich nicht so leicht geschlagen geben würde.
»Ich dachte, du bist ein intelligenter Junge«, bemerkte sie, »das hätte uns beiden eine Menge Zeit erspart. Merkst du nicht, dass es sinnlos ist zu lügen? Soll ich dir ein paar Informationen liefern? Zum Beispiel einen Namen: Dominique Herault.«
Man konnte Jules das Zaudern ansehen. Marguerite war klar, dass er kurz davor war, klein beizugeben, doch sie zähmte ihre Ungeduld wie ein Falschspieler. Sie spürte die Anwesenheit der Mutter hinter der geschlossenen Tür des Salons. Viel mehr Zeit würde sie ihnen wahrscheinlich nicht mehr geben, und wenn sie hereinkäme würde das den Druck, den sie aufgebaut hatte, um Jules zum Reden zu bringen, erheblich vermindern. Sie musste ihn drankriegen.
»Ich muss wohl doch das Haus erwähnen, zu dem ihr gestern Abend im Auto der Hellseherin gefahren seid.« Jetzt hatte sie alle ihre Trümpfe auf den Tisch gelegt. »Soll ich dir genauer erzählen, was ihr dort gemacht habt?«
Sie hatte keine Ahnung, und sie brannte darauf, es in Erfahrung zu bringen. Wenn sie sich allerdings Jules und diese Daphne so ansah, konnte sie sich nicht vorstellen, dass die beiden etwas mit den schrecklichen Morden an Delaveau, Raoul und Melanie zu tun hatten. Vielleicht steckten sie ja in irgendeiner anderen illegalen Sache. Aber Marguerite wollte sämtlichen Spuren und Verdachtsmomenten nachgehen.
Jules überlegte indessen fieberhaft, was er der Kommissarin auftischen konnte. Auf keinen Fall wollte er preisgeben, was Daphne und er in dem alten Palais gesucht – und gefunden hatten …
»Das war nur ein Psychofonie-Treffen«, antwortete er schließlich. »Wir hatten ein Aufnahmegerät dabei und haben uns eine Weile dort herumgetrieben. Das war’s. Meine Mutter weiß nichts davon, denn sie mag es nicht, dass ich so etwas mache. Sie hat mir schon ein Ouijabrett weggenommen. Und was Dominique Herault betrifft, kann ich nichts weiter sagen; er war auf meiner Party, aber ich kenne ihn kaum.«
Marguerite wurde klar, dass sie nicht weiterkam. Jules machte ihr etwas vor, keine Frage; ein Psychofonie-Treffen … lächerlich! Doch für einen Gothic-Fan absolut plausibel. Sie taxierte den Jungen. Obwohl sie ihr Ziel nicht erreicht hatte, fand sie Jules, der sich so standhaft gezeigt hatte, sympathisch.
»Ist das alles?«, fragte sie schlicht.
»Ja. Und es wäre nett, wenn Sie meiner Mutter nichts davon sagen würden.«
Lächelnd stand Marguerite auf und tätschelte ihm die Wange. »Wir sehen uns wieder. Grüß die Wahrsagerin von mir.«
»Ich weiß nicht, ob ich sie noch mal wiedersehe.«
Minuten später stand Jules am Fenster und sah zu, wie sich die Kommissarin in Richtung Madeleine entfernte. Er seufzte erleichtert. Diese Marguerite Betancourt hatte kein einziges Mal Pascal erwähnt. Und damit war klar, dass sie im Grunde nichts von der Sache wusste, in die sie verwickelt waren. Zufrieden schloss er das Fenster.
***
Beatrice war die Erste, die den schmalen Pfad zwischen den Sumpflöchern überquerte, um die Gefahr abzuschätzen, der sich Pascal aussetzen würde. Langsam legte sie die Strecke zurück. Nichts passierte.
Jetzt war Pascal dran, der zwischen Ungeduld – noch immer hörte er Geräusche hinter sich – und Angst schwankte.
»Komm, Pascal.«
Beatrice sprach leise und versuchte, ihn mit Gesten zu ermuntern. Die Tatsache, dass ihr nichts geschehen war, überzeugte ihn nicht so recht. Niemand würde eine umherirrende Seele angreifen, wenn hinter ihr ein Lebender war.
Außerdem spürte Pascal auf einmal die Kälte von Daphnes Talisman auf der Haut; irgendwo in der Nähe lauerte Gefahr. Doch er hatte keine Wahl. Vorsichtig lief er los, den Blick auf Beatrice gerichtet, die ihn erwiderte.
Die ersten Meter ging alles gut. Ungefähr auf der Mitte des Weges aber plätscherte es auf einmal gefährlich in dem Schlammloch rechts von ihm. Voller Angst versuchte Pascal loszurennen, doch umsonst. Ein Tentakel schoss wie eine Peitsche aus dem Sumpfwasser und schlang sich um sein Bein. Beatrice schrie erschrocken auf, als sie sah, dass Pascal zu Boden fiel und beinahe in den Sumpf gestürzt wäre, wo der Schlamm auf einmal wie kochend zu brodeln begann.
Beatrice, die unmöglich tatenlos zusehen konnte, wollte Pascal zu Hilfe eilen, doch ein bedrohliches Platschen in ihrer Nähe warnte sie davor.
»Halte durch, Pascal!«
Der Tentakel an seinem Bein zog
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