Puerta Oscura - 01 - Totenreise
blieb beinah das Herz stehen, als sie erkannte, dass die glasigen Augen von Raoul unmittelbar vor ihr auf sie gerichtet waren. Sie sah seinen übel zugerichteten Körper. Der Hals des Jungen, an dem noch immer Blut in dünnen Rinnsalen herunterlief, wies eine tiefe Bissspur auf.
Etwas sagte ihr, dass die Bestie noch in der Nähe war und sie erwartete. Ein modrig riechender Windstoß traf Melanie, und sie wusste, dass sie sich nicht irrte. Sie rannte weiter und schrie kreischend um Hilfe. Schon konnte sie das Parkgitter sehen. Doch sie hatte nicht den Hauch einer Chance. Die Klauen packten ihre Beine, und scharfe Krallen bohrten sich hinein, bis auf die Knochen. Mit einem heftigen Stoß wurde Melanie gegen einen Baum geschleudert. Dieses furchtbare Monster hatte ungeheure Kräfte.
Sie versuchte fortzukriechen, aus ihrem Mund kam nur noch ein leises, schmerzerfülltes Wimmern. Das schauderhafte Wesen aber beugte sich langsam über sie. Es leckte sich die Lippen, während es seine Eckzähne Melanies Hals näherte.
Augenblicke später war nur das widerlich saugende Geräusch des trinkenden Ungeheuers zu hören.
10
DOMINIQUE HATTE SICH für den späten Samstagvormittag mit Pascal verabredet. Der war wie zwiegespalten. Er hätte die Verabredung wegen der besonderen Umstände gern verschoben, um allein zu sein, doch zugleich hatte er auch Furcht, sich dem Erlebten allein zu stellen. Es war total vertrackt.
Dominique kam pünktlich zur verabredeten Zeit; sie hatten es zu einer Tradition gemacht, sich nach jeder Party zu treffen. So konnten sie das, was sie in ihrem Jargon »die besten Schachzüge« nannten, besprechen.
Pascal beschloss, sich nichts anmerken zu lassen. Sie würden über Mädchen reden und den Erfolg seiner Kostümierung. Das alles kam ihm kindisch, harmlos und dumm vor angesichts dessen, was er gerade durchgemacht hatte, doch er musste damit klarkommen …
Dominique, der nicht wusste, was im Kopf seines Freundes vor sich ging, hatte bereits losgelegt. Wie Pascal es vorhergesehen hatte, brachte er das Gespräch sofort auf seine Verkleidung in der Halloweennacht.
»Hab ich in letzter Zeit irgendetwas verpasst?«, fragte Dominique argwöhnisch. »Dein Auftritt gestern, und dazu dieser Blick, der … so anders war.«
Pascal versuchte seine Unruhe mit einer gelangweilten Miene zu tarnen.
»Ach was, nichts hast du verpasst. Und mein Blick ist derselbe wie immer.«
»Von wegen. Es war, als hättest du eine Überdosis Selbstachtung genommen. Ich sehe dich noch die Treppe herunterkommen. Du gingst sogar aufrechter!« Dominiques Tonfall wurde ein wenig schärfer: »War es nur das perfekte Kostüm oder hat Michelle dir endlich gesagt, dass sie dich liebt?«
»Michelle? Nein, schön wär’s. Was du da offenbar zu sehen meinst, hat dann wohl mit meinem gestrigen Erfolg zu tun.«
Dominique wirkte nicht sehr überzeugt, doch er musste sich mit der Antwort zufriedengeben. Es war deutlich, dass er seinem Freund vorerst nicht mehr entlocken konnte. Allerdings schickte er noch eine Bemerkung hinterher. »Um es in Computersprache zu sagen«, meinte er, »es ist, als hätte man bei dir auf Reset gedrückt, und mit ein paar Sachen fängst du jetzt bei null an. Du bist eine aktualisierte Version deiner selbst.«
Pascal machte ein genervtes Gesicht.
»Hör schon auf. Wenn du so drauf bist, kannst du genauso gut Lineage II spielen gehen.«
Dominique tat so, als würde er ernsthaft über diese Möglichkeit nachdenken.
»Verlockend, aber nein. Ich bleibe. Wir müssen reden.«
»Worüber?«
»Jetzt, wo du dich fit gemacht und gezeigt hast, wozu du in der Lage bist«, verkündete Dominique sichtbar stolz, »ist der Moment gekommen, dir ein Geheimprojekt anzuvertrauen, von dem Michelle bereits weiß. Es wird dein Leben garantiert verändern … mein Wort darauf.«
Pascal war dankbar, über etwas anderes sprechen zu können. »Erzähl«, sagte er, »mal sehen, was du diesmal wieder ausgeheckt hast.«
Dominique ließ sich das nicht zweimal sagen. Er lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück und griff nach einer Tasche mit Reißverschluss, aus der er eine Mappe zog. Die legte er vor sich auf Pascals Schreibtisch.
»Mach dich auf etwas gefasst«, verkündete er feierlich. »Was ich dir zeigen werde, ist unbezahlbar. Von jetzt an wird das mit den Mädels viel einfacher sein …«
»Hab ich’s mir doch gedacht, dass deine Erfindung in diese Richtung geht. Du bist krank.«
Es war nicht das erste Mal, dass Dominique ihn
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