Pulphead
lebende Schimpansengruppe hat gelernt, Speere anzufertigen – sie schärfen sie mit ihren Zähnen – und zu gebrauchen. Das sind Schimpansen, die seit zweihundert Jahren unter Beobachtung stehen und die noch nie Speere benutzt haben. Jüngst haben sie angefangen, Galagos, kleine, auch Buschbabys genannte Affen, aufzuspießen. Galagos verstecken sich in hohlen Bäumen. Als würden sie Frösche harpunieren, zerren die Schimpansen sie heraus wie Fleisch aus einem Fondue-Topf. Seitdem der erste Schimpanse dabei beobachtet wurde, wie er eine Waffe auf diese Weise einsetzte, machte die Methode innerhalb eines Jahres bei neun weiteren Tieren Schule. Sie wurden bei insgesamt zweiundzwanzig Gelegenheiten beim Speergebrauch erwischt wurden, was den Schluss zulässt, dass sich diese einigermaßen radikalen Verhaltensänderungen zumindest bei Affen innerhalb einer einzigen Generation vollziehen.
Das über solche Dinge existierende Wissen ist, könnte man sagen, verstörend grundlegend. Mit der Erwärmung des Planeten beschleunigt sich die Evolution. Das wissen wir bereits seit geraumer Zeit. Wir lernen es schon in der Oberstufe im Biologieunterricht. Je näher am Äquator, desto schneller die Entwicklung. Hitze beschleunigt die molekularen Prozesse. Man nehme eine Tintenfischpopulation und teile sie. Die eine Hälfte bleibt im Norden vor Alaska, die andere wandert südwärts vor die peruanische Küste. Man gehe sie fünfzigtausend Jahre später besuchen. Die Gruppe oben vor Alaska ist dabei, sich langsam in zwei verschiedene Arten auseinanderzuent
wickeln. Die unten vor Peru hat sich in sechsundzwanzig Arten ausdifferenziert und ist in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr wiederzuerkennen. Diesen Effekt erlebt zurzeit der gesamte Planet. Mehr Wärme, mehr Licht. Tiere machen vieles anders; sie tauchen an Orten auf, an die sie nicht gehören, sie schlafen zu anderen Zeiten, sie fressen andere Sachen. Da kann man jeden Feldforscher fragen: Es ist bereits ein Gemeinplatz, dass Naturführer und Tierbestimmungsbücher sich gerade mit zehnfacher Geschwindigkeit selbst überholen. Ein Forscher erklärte 2001 gegenüber der BBC : »Es gibt einen genetischen Wandel hinsichtlich ihrer Reaktion auf Tageslicht. Wir können diesen Wandel bereits innerhalb eines Zeitraums von nur fünf Jahren nachweisen. Evolution passiert, und sie passiert sehr schnell.« Und da redete er nur über eine bestimmte Moskito-Art. Dr. Christina Holzapfel von der Universität von Oregon in Eugene hat Veränderungen unter den roten kanadischen Eichhörnchen beobachtet. »Es hat nicht alles nur mit phänotypischer Plastizität zu tun«, sagte sie gegenüber Science . »Studien zeigen«, zitierte eine andere Quelle sie, »dass der rasante Klimawandel während der letzten Jahrzehnte zu erblichen genetischen Veränderungen bei Tierpopulationen geführt hat.« Erst vor Kurzem stand in einem Aufsatz im Smithsonian : »Man kann seit Neuestem nachweisen, dass Pflanzen und Tiere sich beschleunigt verändern.«
Das bedeutet: Wir haben uns einen schlechten Augenblick dafür ausgesucht, die Tiere gegen uns aufzubringen, da sie sich gerade jetzt, wo ein Wandel in ihrem Naturell zu erwarten steht, auch genetisch wie die Blöden weiterentwickeln.
Während ich mich durch Livengoods Punkte klickte, fiel mir ein Muster auf, das ich schon bemerkt hatte, als ich noch nichtsahnend News-Bröckchen im Internet verfolgt hatte, nämlich die außergewöhnlich hohe Zahl der Fälle, in denen irgendeine Art »zum ersten Mal« attackierte. Womit nicht einfach nur bislang noch nie dagewesene Typen von Angriffen gemeint sind –
wie eine Leopardenmeute, die sich in eine dicht bevölkerte Stadt vorwagt und dort tötet –, sondern vor allem die recht schlichten Fälle, in denen Tiere, die noch nie die Absicht an den Tag gelegt haben, Menschen zu töten, plötzlich Menschen töten.
Es ist erst wenige Jahre her, dass im Oktober 2006 in einem Posting auf der Website des Institute for the Future – einer »unabhängigen, gemeinnützigen Forschergruppe« mit Hauptsitz in den USA , die ihr nicht unerhebliches Budget darauf verwendet, »Organisationen aller Art dabei zu helfen, bessere, informiertere Entscheidungen in Bezug auf die Zukunft zu treffen« – zögerlich die erste rote Fahne zu diesem Themenkomplex gehisst wurde, insofern hier zum ersten Mal eine Gruppe absolut unbescholtener, intellektuell gesellschaftsfähiger Typen so weit ging, die Sache explizit anzusprechen:
»Bitte
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