Pulphead
geht. In Boston findet seit mehreren Jahren etwas statt, das man nur als permanente Belagerung durch wilde Truthähne bezeichnen kann. Kinder und ältere Leute werden attackiert. In Kalifornien führte die Hühnerpopulation von Sonoma County vor gar nicht allzu langer Zeit eine ganze »Welle von Angriffen auf Kinder aus der Nachbarschaft« durch. Die Mutter eines der Opfer erzählte einem Reporter: »Zusehen zu müssen, wie dein eigenes Baby angegriffen wird, ist nicht gerade schön . . . Sehen, wie es schreit, während ihm das Blut übers Gesicht läuft . . . Ich kann nachts nicht mehr schlafen.«
Ein Gutteil dieser neuen Form der Gewalt spielt sich zwischen Tieren ab. Überflüssig zu erwähnen, dass das weit weniger mediale Aufmerksamkeit auf sich zieht. In dem polnischen Dorf Stubienko drehten im Juni 2000 (eine der ersten Markierungen in Livengoods Sammlung) die Störche durch und fingen an, Hühner abzuschlachten. Und zwar hundertfach. (Ich sehe gerade, dass zur selben Zeit zusätzlich »gelegentliche Angriffe auf Menschen« gemeldet wurden.) Beobachter sahen sich »außerstande, dieses abweichende Verhalten zu erklären«.
Ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine, wenn ich finde, dass an all diesen Geschichten irgendetwas schräg ist. Störche, die Hühner abschlachten.
Ein Großteil der Gewalt zwischen Tieren scheint das Ergebnis schieren Wahnsinns zu sein. Schimpansen hat man wiederholt bei »Vergewaltigungen, dem Verprügeln ihrer Partnerinnen, Morden und Kindsmorden« beobachtet. In der afrikanischen Savanne haben Elefanten Nashörner vergewaltigt, was Zoologen nachvollziehbarerweise genauso verstört wie Laien.
Sollten Sie von dem einen oder anderen Aspekt dieser sich hier entfaltenden Geschichte schon gehört haben, dann wahrscheinlich durch die Arbeit von Gay Bradshaw, einer Psychologin und Umweltwissenschaftlerin, die die beschleunigte mentale Degeneration von Elefantenpopulationen in destabilisierten Gegenden Afrikas und Asiens verfolgt. Sie ist eine extrem renommierte Forscherin, deren Ergebnisse die vielleicht überzeugendsten Beweise dafür hergeben, dass der Mensch hinsichtlich der Artikulation von Zuneigung, Leid, Stress und bislang noch unbekannter Affekte die Schnittmenge zwischen seiner eigenen und der Psyche der höher entwickelten Tiere massiv unterschätzt hat. So jedenfalls verstehe ich ihre Arbeit. Anfang dieses Jahres lenkte ein großes Magazin die nationale Aufmerksamkeit auf sie, und sie hat einen Buchvertrag. Um es kurz zu machen: Sie hat meine Interviewanfrage abgelehnt, weswegen ich ihr nicht den geringsten Vorwurf mache; wenn
ich eine international angesehene Tierwissenschaftlerin wäre, würde ich stundenlang durch Kälte und Schlamm fahren, um mich vor einem Rumsfeld-versus-Saddam-mäßigen Treffen mit Marc Livengood in Sicherheit zu bringen. Nicht dass ich persönlich Livengood irgendwie heroisch fände. Trotzdem gibt es zwischen ihren jeweiligen Hypothesen vielleicht doch eine größere Verwandtschaft, als zuzugeben einem von beiden wirklich leichtfallen würde. (Es wird Sie sicherlich schockieren zu erfahren, dass Livengood Bradshaws Arbeit mit etwas Eifersucht und einem Augenrollen betrachtet.)
Auch wenn der Tier-gegen-Mensch-Aspekt der Elefantenproblematik nicht den Schwerpunkt von Bradshaws Forschung darstellt, können wir festhalten: Elefanten töten uns, und zwar in nie gekanntem Ausmaß. Mehr als tausend Opfer in weniger als zehn Jahren. In einer einzigen Wanderschaftssaison wurden vierundvierzig Gemeinden in Nigeria von tobenden Elefanten »ausgelöscht«. Einige dieser Ereignisse sind ziemlich spektakulär ausgefallen. Mehrere Tiere haben zusammengearbeitet (im Gegensatz zu den Einzelgängermännchen, die mit schöner Regelmäßigkeit auftreten), sind durch ganze Stadtteile gestürmt und haben Menschenmengen attackiert. Wer schon mal gesehen hat, wie ein Elefant einen Menschen angreift: Es sieht nach einer ziemlich persönlichen Sache aus. Ein Elefant hört auch dann nicht auf, wenn man schon am Boden liegt. Zunächst ist man noch bei Bewusstsein, während der Elefant einen mit seinem Rüssel zusammenschlägt und anschließend in Grund und Boden stampft. In einem Dorf randalierten die Elefanten so, dass sie die Bevölkerung vertrieben, dann brachen sie unbewachte Fässer mit dort gebrautem Reisbier auf, rasten anschließend gegen Strommasten und starben. Bradshaw schreibt: »Einige Biologen glauben, dass die zunehmende Aggressivität von Elefanten teilweise
Weitere Kostenlose Bücher