Pulphead
noch skeptisch, aber neugierig?«, fragte Livengood. (Bei unserem ersten Telefonat hatte er mich gefragt, wie meine »Haltung« zu der Sache sei, und ich hatte geantwortet, »Skeptisch, aber neugierig«, womit ich eigentlich überhaupt nichts weiter hatte sagen wollen – aber, oh Mann, er hatte es sich gemerkt.)
Ich nuschelte mir irgendetwas in den Bart. Worauf Livengood seufzend und in einem extragelangweilten Ton zurückgab: »Oh ja, da ist etwas im Schwange.« Dann wippte er eine ganze Zeit auf seinem schwarzen Bürostuhl vor und zurück und tippte die Fingerspitzen gegeneinander.
Ich sagte: »Das kann doch alles nicht sein.«
Er sah mich an und sagte, als hätte er mich nicht gehört: »Hey! Sie müssen mitkommen nach Afrika!«
Wir waren auf dem Weg nach Mandera, einer trockenen, ehemals von Nomaden bewohnten Gegend im Nordosten Kenias, um die dreihundertfünfzig Meilen von Nairobi entfernt, kurz vor der somalischen Grenze. Marc allerdings sprach nicht von Mandera, sondern immer nur von »Ground Zero«.
Im Jahr 2000 – das Marc, mit einer wenig subtilen Sturheit, die sicher mit seinem nicht existenten Status in der akademischen Welt in Zusammenhang stand, fortwährend als »Year Zero« bezeichnete – ereigneten sich innerhalb nur eines Monats in zwei nicht weit entfernten Dörfern dieser Gegend unabhängig voneinander zwei Vorfälle. Für Marc heißen diese Dörfer »Ort der Schlacht« und »Ort des Mords«.
Er hatte ein Treffen mit Sila Fall arrangiert, einer großen, sich außergewöhnlich aufrecht haltenden jungen Frau aus Dakar. Ihre Haare waren zu Zöpfen geflochten, und sie kam ganz in Weiß gekleidet, nur um ihren Hals lag ein blaues Tuch. Sie war die UNICEF -Kontaktperson für diese Gegend. Sie fuhr mit uns in ein Dorf, das eher wie ein Camp aussah. Aber die Leute hier waren gesund. UNICEF leitete eine neue Brunnengrabung. Man lud uns ein, uns zu setzen und uns eine Art Theaterstück auf Kikamba anzusehen. Ich verstand die Handlung nur grob. Ein Mann war krank; er war der Patient. Dann kam ein anderer Mann, der Heiler. Sie sprachen miteinander – die uralten Bande. Sie tanzten.
Wir liefen hinter Sila Fall her, die sehr schnell ging. Sie zeigte
uns alle Fortschritte, die UNICEF hier auf den Weg gebracht hatte – weniger mit Stolz, als vielmehr mit Ruhelosigkeit, als wollte sie sagen: Immerhin haben wir das geschafft. Die Klinik. Die Schule. »2000 sah es hier noch anders aus«, erzählte sie. »Was uns 2000 nicht aus einem Armeelastwagen zugeworfen wurde, hatten wir einfach nicht. Wir lagen im Sterben.«
»Hier wohnt die Frau«, sagte sie mit ausgestrecktem Zeigefinger, blieb aber nicht stehen. »Angeblich ist sie heute bei ihrer Schwester.« Sekunden später blieben wir vor der nächsten, identisch aussehenden Hütte stehen. Ich bemerkte, dass Marcs Aufregung sich als Hibbeligkeit äußerte, ständig verlagerte er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und machte kleine Räuspergeräusche. Aus dem schattigen Inneren der Hütte löste sich eine Frau mittleren Alters. Sie trug einen langen Rock und ein T-Shirt. Sila Fall sagte auf Kikamba etwas zu ihr, sie antwortete auf Kikamba, dann sagte Sila Fall auf Englisch zu Marc: »Sie . . . heißt Sie willkommen, sie . . . weiß, wer Sie sind und wird Ihnen den Ort zeigen, über den Sie etwas wissen wollen.« Das also war Kakenya Wamboi, »die Veteranin«, wie Marc sie in seinen E-Mails bezeichnet hatte.
Es ist bekannt, dass sich im Frühjahr 2000, als die Dürre in der Region ihr schlimmstes Ausmaß erreicht hatte, Affen und Menschen über zwei Stunden hinweg eine offene Feldschlacht um drei soeben eingetroffene Wassertanker lieferten. Während wir zu viert die engen Außenbezirke des Dorfes über eine brütend heiße Straße knapp zweihundert Meter weit hinter uns ließen, beantwortete Kakenya Wamboi, die dieses Ereignis miterlebt hatte, durch den Mund von Sila Fall Marcs extrem präzise, vorbereitet wirkende Fragen und schilderte Marc und mir den Ablauf des Kampfes. Wie die Menschen herangestürzt waren, um Wasser von den Tankern abzuzapfen, wie dann aber innerhalb von Sekunden eine ganze Affenhorde auftauchte und entlang der Seiten der Lastwagen Aufstellung bezog. Weitere Tiere kamen über die Straße. »Sie bissen uns
und schlugen mit den Pfoten nach uns. Vom Dach eines Lasters bewarfen sie uns mit Steinen. Mein mittlerweile verstorbener Mann hatte bis zu seinem Tod eine Narbe auf der Stirn, an der Stelle, wo einer der
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