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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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finden ist, als Schmetterling identifiziert. Sie konnten die abgegrenzten Flecken auf dem sich entfaltenden Körper – man erkennt das, wenn man lange daraufstarrt – sogar einer existierenden Spezies zuordnen. Bei der erneuten Untersuchung von Ringkrägen aus dem Etowah Mound in Georgia hatten sie festgestellt, dass der Kopf einer bestimmten menschenköpfigen Schlange derselbe Kopf zu sein schien, den ein Falkenkrieger auf einem anderen Kragen hielt. »Wir glauben, dass wir möglicherweise einen neuen mythologischen Komplex entdeckt haben – allein auf der Basis von Kunstgegenständen«, sagte Reilly.
    Simek glaubt nicht an solche Dinge. Er mag Daten. Er mag Sätze wie »Zweihundert Meter hinter dem Eingang der Höhle
fanden wir ein Piktogramm, das einen Hund darstellte, Kohle, vertikal ausgerichtet« und so weiter. Er will nicht darüber mutmaßen, ob der Hund tote Seelen den Seelenpfad entlang führte – obwohl Hunde so was in mehr als einer Religion des Südostens getan haben. Er mag das »vielleicht« nicht, was dabei übrigbleibt. Die Gesellschaften, die diese Ethnologen untersuchten, hatten seit der Mississippi-Periode immense Schocks und Brüche erlebt, vor allem natürlich die Begegnung mit den Europäern, aber auch schon früher. Die Mississippi-Hochkultur zerbrach, kurz bevor die Spanier Florida erreichten, und nicht kurz danach, wie man angesichts der Massaker und Krankheiten erwarten würde – eines der großen Rätsel der amerikanischen Archäologie. Simek war der Meinung, dass man angesichts all diesen Rauschens nicht zu im wissenschaftlichen Sinne sicheren Erkenntnissen gelangen konnte.
    »Mais, Bohnen und Kürbis«, sagte Reilly, als ich ihn auf Simeks Kritik ansprach. Er meinte damit das fade, knochentrockene Datenmaterial aus den Laboren der Anthropologen. Ich hörte so viel heraus wie: Wenn die bei diesem langweiligen Kram bleiben wollen – sollen sie doch.
    Aber was immer wir auch gerade sahen – es war nicht langweilig. Ich lag da und starrte die Bilder an, die kühle Atmosphäre der Höhle, Erinnerungen, die in der Haut gespeichert sind, wenn man wie ich in einem Karstgebiet aufgewachsen ist, südliches Indiana, Erinnerungen an Kindheitsausflüge zur Wyandotte-Höhle, wenn sie die Lichter ausdrehten – »Das ist absolute Dunkelheit, Kinder« – und wir uns die Hände vors Gesicht halten mussten, um zu sehen, dass wir sie nicht sahen.
    »Meine Kollegen streiten sich über Fragen wie: ›Was ist der SECC ? Was bedeutet das?‹«, sagte Simek. »Ich bringe sie hierher und sage dann: ›Guck dir diese Bilder an. Das ist der Southern Cult‹.«
     
    Wir gingen weiter. Das nächste Piktogramm, sagte Simek, zeige ein Motiv, das in einigen der Höhlen ohne Namen vorkomme: der grauenvolle Zahnschlund. Ein runder, abgehackter Kopf, dem Blut aus dem Hals tropft. Weinende Augen. Ein breites Kürbislächeln, das wohl verwesendes Zahnfleisch andeuten soll. Simek sagte, dass man dieses Motiv zumeist an Grabstätten findet. Sie hätten sogar eins in einer Höhle aus der Woodland-Periode gefunden – einer Phase vor der Mississippi-Kultur, über die man sogar noch weniger weiß. Aber zumindest für ein paar Jahrtausende hieß dieses Motiv an einer Höhlenwand in diesem Land: »Hier Tote begraben.«
    Einer von Simeks Doktoranden war Cherokee. Russ Townsend ist ein guter Archäologe – er ist jetzt »Beauftragter für die Bewahrung der Stammesgeschichte« für die östlichen Cherokee-Indianer. Townsend hat mit Jan an etlichen Projekten gearbeitet, aber er hat niemals einen Fuß in eine der Höhlen gesetzt. Ich fragte ihn danach. »Die Haltung der Cherokee ist, dass man Höhlen nicht einfach so betreten darf«, sagte er. »Nur schlechte Menschen stiegen so tief hinunter. Man brachte schlechte Menschen tief in die Höhlen und ließ sie dort zurück. Damit sie auf Fels liegen und nicht in der Erde. Für die meisten Cherokee ist das beunruhigend. In der Unterwelt ist alles durcheinander und chaotisch und schlecht. Einen solchen Ort, an dem die Beziehung zwischen unserer Welt und dem Jenseits derart angespannt ist, will man nicht betreten.«
     
    Wir kamen in einen großen Saal. Die Decke war sehr hoch, mindestens dreißig Meter. Sie war glatt und blassgrau. Simek richtete seine Lampe nach oben und schwenkte sie langsam über das Gewölbe. »Was sehen Sie?«, fragte er.
    »Sind das Grabwespennester?«, fragte ich. Für mich sahen sie so aus.
    »Die Decke«, sagte er, »ist mit dreihundert

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