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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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»kein Zeug, das man ans Smithsonian schicken könnte«. Franklin hatte jedoch entdeckt, dass sie das Plateau intensiv bereist, als Rohstoffquelle genutzt und die dortigen Höhlen erkundet hatten.
    Jan sagte, es gebe sogar Beweise dafür, dass das Plateau selbst für die Völker des Südostens ein heiliger Ort war, eine Pilgerstätte. Ein Kollege hatte im Labor ein altes Keramik-Ensemble entdeckt und untersucht, das man in den siebziger Jahren in einer Petroglyphen-Stätte unter freiem Himmel gefunden hatte, »einem kleinen Unterstand ganz oben auf dem Plateau, von wo man die untergehende Sonne beobachten konnte«. Sie bemerkten, dass die Töpferstile auf eigentümliche Weise untypisch waren. Die Keramiken aus den Jagdlagern hingegen waren recht homogen. »Die Petroglyphen-Stellen«, sagte Jan, »wurden definitiv eindeutig nach einem anderen Plan aufgesucht.« Und das Plateau war voll von solchen Stellen.
    Der Eingang der Dritten Namenlosen lag etwa zehn Meter über dem wütenden, braunen Fluss, der schon die Bäume in der Nähe umspülte (in ein paar Stunden würde er über die Ufer treten, wie sich herausstellte). Aber wir waren in Sicherheit. Man konnte trocken und bequem im Höhleneingang hocken und unbemerkt den Fluss hoch und runter sehen, wenn
man den Kopf drehte. Dieser kleine Vorraum hatte etwas, vielleicht lag es an der Dichte des Lehmbodens, ich würde fast sagen, am Grundriss, das einen spüren ließ, wie lange hier schon Leute kauerten.
    Franklin ging zuerst in die Höhle, wir anderen folgten ihm. Der Eingang wurde schnell enger. Wir kamen an einem Wasserfall vorbei, einem wild in sich verschlungenen Tau aus Weißwasser in der Mitte der Höhle, das in wer weiß welche Untiefen stürzte. Es war eine wilde Höhle, es gab keine Stufen oder Geländer; man konnte das eisige Wasser berühren.
    Wir blieben stehen. Franklin drehte sich zu uns um. Wir seien an einer heiklen Stelle angekommen, sagte er, der Boden des Stollens würde ab hier plötzlich steil abfallen. Wir sollten ihn genau beobachten; er würde uns zeigen, wie man auf die andere Seite käme. Er wuchtete seinen Körper vom Boden hoch und positionierte ihn waagerecht zwischen den Höhlenwänden, die Füße an der einen, seine Schultern an der anderen Wand, er hielt sich dort nur mit der Kraft seiner Muskeln. Hatte man sich einmal so im Übergang festklemmt, begann man, den Körper nach rechts zu schieben. Auf diese Weise konnte man den Zwanzig-Meter-Abgrund überwinden. »Kamintraverse« nannte man ihn. Die Studenten schafften es ohne Probleme, sie kicherten. Und tatsächlich war es, technisch gesehen, gar nicht schwer. Franklin hatte die Physik des Ganzen erklärt. Die Beine haben deutlich mehr Kraft, als nötig ist, um einen zwischen den Wänden zu halten. Um abzustürzen, müsste man schon etwas Verrücktes machen und die Beine entspannen. Trotzdem zitterten mir die Knie, als ich auf der anderen Seite ankam. Ich trat auf einen losen Stein, ein Geräusch wie von einem Maschinengewehr.
    An den Wänden um uns herum waren wieder die mittlerweile vertrauten Rußspuren, schwarz verschmierte Konstellationen, verpixelte Schatten des Wegs, den die Ureinwohner durch die Stollen genommen hatten. In dieser Höhle konnte
man ihre Präsenz körperlich spüren, direkt vor der eigenen Nase. Der dicke Rauch ihrer Fackeln hing noch unter der Decke. Höhlenwandern in einem derart aufgeladenen prähistorischen Kontext hat diesen Effekt. Das hat mit der räumlichen Konzentration des Raums zu tun, seiner physischen Enge – man muss ständig Dinge auf die genau gleiche Weise tun wie sie. Man weiß, dass sie mit ihren Rücken genauso am Fels entlanggerutscht sind. Sie mussten dort auftreten, und hier mussten sie sich bücken.
    Franklin hielt wieder an. Wir sammelten uns hinter ihm. Wir standen in der letzten Kammer der Höhle, dem Raum mit der Kunst, langgezogen, mit einer niedrigen Decke und ein paar dunklen Gauben an den Rändern, die sich dem Licht unserer Lampen widersetzten.
    Franklin dozierte und führte uns mit seinem Leuchtstab an den Petroglyphen vorbei. Ein geometrisches Rautenmuster. Etwas, das möglicherweise eine Art Auge mit langen Wimpern darstellen sollte. Ein Wesen mit spitzem Kopf und spitzen Ohren, einem herabhängendem Schwanz, ausgestreckten Armen und Beinen. Sie nannten es »Possum Boy«. Es gab ein Sonnensymbol. Eine Freundin von Patty Joe Watson – Watson ist die bekannteste Höhlenarchäologin des Ostens; wenn Sie jemals eine Frau im

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