Puls
solange noch Zeit dazu war.
»Wir kommen schon zurecht«, sagte er. »Gehen Sie ruhig weiter.«
Clay öffnete den Mund, um zu sagen: Warum gehen wir nicht miteinander weiter? Warum schließen wir uns nicht zusammen? Was halten Sie davon, Greg? So hatten die Helden der SF-Romane, die er als Teenager verschlungen hatte, immer geredet: Warum schließen wir uns nicht zusammen?
»Genau, geht weiter, worauf wartet ihr noch?«, sagte die Frau, bevor er das oder irgendetwas anderes sagen konnte. Das ungefähr fünfjährige Mädchen in ihrem Einkaufswagen schlief weiter. Die Frau hatte sich schützend neben dem Wagen aufgebaut, als hätte sie einen außerordentlich günstigen Ausverkaufsartikel ergattert und fürchtete nun, Clay oder seine Freunde könnten ihn ihr wegnehmen wollen. »Glaubt ihr vielleicht, dass wir was haben, das ihr brauchen könnt?«
»Natalie, hör auf«, sagte Gregory mit fast aufgebrauchter Geduld.
Aber Natalie hörte nicht auf, und Clay erkannte, was an dieser kleinen Szene so bedrückend war. Nicht, dass eine Frau, die Angst und Erschöpfung paranoid gemacht hatten, ihn grundlos verdächtigte; das war verständlich und entschuldbar. Was seine Stimmung auf den Nullpunkt sinken ließ, war die Art und Weise, wie die Leute einfach weitergingen, ihre Taschenlampen schwangen und in ihren eigenen kleinen Gruppen leise miteinander sprachen, während gelegentlich ein Koffer von einer Hand in die andere genommen wurde. Irgendein Rowdy auf einem Minimotorrad schlängelte sich zwischen Abfallhaufen und Autowracks hindurch, und die Leute machten ihm ärgerlich murmelnd Platz. Clay dachte, dass die anderen wohl auch nicht anders reagiert hätten, wenn der kleine Junge sich beim Sturz aus dem Einkaufswagen das Genick gebrochen hätte, statt sich nur das Knie aufzuschürfen. Er dachte, dass sie wahrscheinlich auch nicht anders reagierten, wenn der übergewichtige Mann dort vorn, der mit einem schweren Seesack beladen am Straßenrand dahinkeuchte, mit einem Herzschlag zusammenbrach. Niemand würde versuchen, ihn wiederzubeleben, und die Zeiten, wo man einfach den Notarzt anrufen konnte, waren nun einmal vorbei.
Niemand machte sich auch nur die Mühe, so etwas zu rufen wie: Geben Sie's ihm, Lady! oder He, Mann, warum sagst du ihr nicht, sie soll die Klappe halten? Alle gingen einfach nur weiter.
»... wir haben nämlich bloß diese Kinder, eine Verantwortung, nach der wir uns nicht gedrängt haben, weil wir kaum uns selbst versorgen können, er hat einen Schrittmacher; was sollen wir tun, wenn die Badderie erschöpft ist, das möchte ich wirklich wissen. Und jetzt diese Kinder! Wollen Sie eins?« Sie sah sich mit wildem Blick um. »He! Will jemand ein Kind?«
Das kleine Mädchen bewegte sich.
»Natalie, du machst Portia Angst«, sagte Gregory.
Die Frau namens Natalie lachte. »Scheißpech für sie! Wir leben nun mal in einer Welt, die Angst macht!« Um sie herum schlurften die Flüchtlinge weiter. Niemand achtete auf sie, und Clay dachte: So verhalten wir uns also. So geht's, wenn uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Wenn keine Kameras laufen, keine Gebäude brennen, kein Anderson Cooper sagt: »Und nun zurück in die CNN-Studios in Atlanta.« So geht's, wenn der Heimatschutz wegen Mangel an Vernunft ausfällt.
»Lassen Sie mich den Jungen nehmen«, sagte Clay. »Ich trage ihn, bis Sie was Besseres für ihn finden. Der Wagen ist hin.« Er sah zu Tom hinüber. Tom zuckte die Achseln und nickte.
»Fassen Sie ihn nicht an«, sagte Natalie und hatte plötzlich eine Pistole in der Hand. Die Waffe war nicht groß, vermutlich nur eine .22er, aber selbst ein Kleinkalibergeschoss konnte tödlich sein, wenn es an der richtigen Stelle traf.
Clay hörte, wie links und rechts von ihm Waffen gezogen wurden, und wusste, dass Alice und Tom jetzt mit den Pistolen, die sie aus dem Haus der Nickersons mitgenommen hatten, auf die Frau namens Natalie zielten. Auch das gehörte offenbar zu dem ganzen Spiel dazu.
»Stecken Sie das Ding weg, Natalie«, sagte er. »Wir gehen jetzt weiter.«
»Da haben Sie gottverdammt Recht, das tut ihr«, sagte sie und strich sich mit dem linken Handballen eine Haarsträhne, die ihr in die Stirn gefallen war, aus dem Auge. Sie schien gar nicht wahrzunehmen, dass der junge Mann und die jüngere Frau, die Clay begleiteten, sie mit Waffen bedrohten. Nun sahen die Vorbeigehenden doch noch zu ihnen herüber, aber die einzige Reaktion bestand darin, diese Stelle, an der eine Konfrontation
Weitere Kostenlose Bücher