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Puls

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Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sie völlig irrsinnig. Und jetzt redete dieser alte Mann mit dem großen Packsack auf dem Rücken auch noch von Schuhen.
    »Wenn ihr euch irgendwo einquartiert, dann stellt dort eure Schuhe vor die Haustür«, sagte Packsack. »Die Verrückten nehmen sie nicht weg, da könnt ihr unbesorgt sein, aber die Schuhe signalisieren anderen Leuten, dass dort besetzt ist, dass sie weitergehen und sich eine andere Bleibe suchen sollen. Erspart einem .« Sein Blick streifte das Sturmgewehr, das Clay trug. »Erspart einem Unfälle.«
    »Hat's denn Unfälle gegeben?«, fragte Tom.
    »O ja«, sagte Packsack erschreckend gleichgültig. »Unfälle passieren immer, weil die Leute nun mal so sind, wie sie sind. Aber es gibt reichlich Unterkünfte, also braucht ihr keinen zu haben. Stellt einfach eure Schuhe raus.«
    »Woher wissen Sie das alles?«, fragte Alice.
    Er bedachte sie mit einem Lächeln, das sein Gesicht über alle Maßen attraktiver machte. Aber es war schwierig, Alice nicht anzulächeln; sie war jung und selbst um drei Uhr morgens sehr hübsch. »Die Leute reden; ich höre ihnen zu. Ich rede; manchmal hören andere Leute mir zu. Hast du zugehört?«
    »Ja«, sagte Alice. »Zuhören ist eine meiner Stärken.«
    »Dann erzähl's weiter. Schlimm genug, dass wir uns gegen die behaupten müssen.« Er brauchte nicht deutlicher zu werden. »Da können wir nicht noch zusätzlich Unfälle unter uns brauchen.«
    Clay dachte an Natalie, die mit ihrer kleinen Pistole auf ihn gezielt hatte. »Da haben Sie Recht«, sagte er. »Danke.«
    »Das ist die ›Beer Barrel Polka‹, oder?«, sagte Tom.
    »Richtig, mein Sohn«, sagte Packsack. »Myron Floren, Gott hab ihn selig, an der Quetschkommode. Vielleicht habt ihr ja Lust, in Gaiten zu bleiben. Das ist eine nette Kleinstadt ungefähr zwei Meilen von hier.«
    »Werden Sie auch dort bleiben?«, fragte Alice.
    »Ach, Rolfe und ich marschieren wahrscheinlich noch ein Stück weiter«, sagte er.
    »Warum?«
    »Weil wir können, mein kleines Fräulein, das ist alles. Schönen Tag noch.«
    Diesmal verbesserten sie ihn nicht, und obwohl die beiden Männer Ende sechzig sein mussten, kamen sie, dem Strahl einer einzelnen Taschenlampe folgend, die Rucksack - Rolfe - in der Hand hielt, bald außer Sicht.
    »Lawrence Welk und seine Champagne Music Makers«, sagte Tom staunend.
    »›Baby Elephant Walk‹«, sagte Clay und lachte.
    »Und wieso hat Dodge sich amüsiert?«, wollte Alice wissen.
    »Weil er konnte, vermute ich mal«, sagte Tom und prustete vor Lachen, als er ihren verwirrten Gesichtsausdruck sah.

11
    Die Musik kam aus Gaiten, der netten Kleinstadt, die Packsack als Quartier empfohlen hatte. Die Musik war nicht entfernt so laut wie das AC/DC-Konzert, zu dem Clay einmal als Teenager nach Boston gefahren war - davon hatten ihm noch tagelang die Ohren gedröhnt -, aber doch laut genug, um ihn an die Sommerkonzerte zu erinnern, die er mit seinen Eltern in South Berwick gehört hatte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, sie würden die Quelle dieser Beschallung auf dem Kirmesplatz von Gaiten antreffen - irgendeinen älteren Mann, kein Handy-Verrückter, aber seit der Katastrophe geistig leicht verwirrt, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, den allnächtlichen Exodus mit anspruchslosen Oldies zu begleiten, die er über ein Dutzend batteriebetriebener Lautsprecher abspielte.
    In Gaiten gab es zwar einen Festplatz, aber dort hielten sich nur wenige Leute auf, die im Schein von Taschenlampen und Sturmlaternen ein spätes Abendessen beziehungsweise frühes Frühstück einnahmen. Der Ursprung der Musik befand sich etwas weiter nördlich. Lawrence Welk war inzwischen von jemandem abgelöst worden, der so honigsanft Trompete blies, dass der Ton einen fast einschläferte.
    »Das ist Wynton Marsalis, stimmt's?«, sagte Clay. Er war bereit, für heute Nacht Schluss zu machen, und fand auch, dass Alice zu Tode erschöpft aussah.
    »Der oder Kenny G«, sagte Tom. »Du weißt ja, was Kenny G gesagt hat, als er aus dem Aufzug gestiegen ist, oder?«
    »Nein«, sagte Clay, »aber du verrätst es mir bestimmt.«
    »›Mann! Diese Bude rockt!‹«
    »Das ist so witzig«, sagte Clay, »dass mein Sinn für Humor gerade irgendwie implodiert ist.«
    »Das kapiere ich nicht«, sagte Alice.
    »Lohnt sich nicht, das zu erklären«, sagte Tom. »Hört mal, Leute, wir sollten uns langsam was suchen. Ich bin total erledigt.«
    »Ich auch«, sagte Alice. »Ich dachte, ich bin vom Fußballtraining her in Form, aber ich bin

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