Pulverfass Iran
haben. Ahmadinedschad betont immer wieder, dass es die Revolutionswächter, „seine“ Pasdaran, |41| und nicht die Geistlichen waren, die auf den Schlachtfeldern ihr Vaterland verteidigt haben und die einen hohen Blutzoll entrichten mussten. Verstärkt hat der Präsident in den letzten Jahren die Mitglieder seiner eigenen Generation an die Macht gebracht und die wichtigsten Positionen in den Ministerien mit Kriegsveteranen und Revolutionswächtern besetzt. Durch sie erhält der ehemalige Mullah-Staat ein anderes Gesicht. Zunehmend verlieren die Geistlichen und Religionsgelehrten an Einfluss. Die Pasdaran dagegen, die einstigen Truppen des Klerus, bauen ihre Macht stetig aus und steuern den Iran in Richtung Militärdiktatur.
Lange haben Chamenei und Ahmadinedschad eine offene Konfrontation vermieden. 2010 erst hatte Ahmadinedschad seinen Außenminister Manutschehr Mottaki, einen Realpolitiker, aus dem Kabinett geworfen. Ahmadinedschad brauche keinen Außenminister, weil er sein Land am liebsten selbst vertrete, sagten Kritiker hinter vorgehaltener Hand. Die Entlassung während einer Dienstreise nannte Mottaki „unislamisch und beleidigend“. Diesen Alleingang nahm der Oberste Religiöse Führer Chamenei noch hin. Doch im Mai 2011 brach zwischen Ahmadinedschad und Chamenei ein offener Konflikt aus. Es war ein Machtkampf, der den Iran beinahe in seinen Grundfesten erschüttert hätte: Zehn Tage lang blieb Präsident Mahmud Ahmadinedschad allen Kabinettssitzungen fern, bis er schließlich einlenkte und zu seiner Arbeit zurückkehrte. Mit dem Boykott wollte er offenbar gegen die Entscheidung des religiösen Oberhauptes Ayatollah Ali Chamenei protestieren, den von Ahmadinedschad entlassenen Geheimdienstminister Salehi wieder einzusetzen. Ahmadinedschad hatte, so wird aus gut unterrichteten Kreisen berichtet, den letzten Turbanträger in seinem Kabinett entlassen, nachdem der Geheimdienstminister die Telefone von Ahmadinedschads Stabschef Rahim-Maschaie abhören ließ. Gerüchten zufolge saß Ahmadinedschad in seinem Haus und spielte mit Rücktrittsgedanken – ein für den Iran unerhörter Vorgang. Doch die |42| Personalie Salehi ist für viele Beobachter eine Stellvertreterdebatte. Kenner gehen davon aus, dass der Präsident das System reformieren und die Macht der Geistlichen zunehmend beschneiden will. Einige trauen ihm sogar zu, langfristig das eigentlich unantastbare Prinzip des „Velayate Faqih“, des Obersten Religiösen Führers, abschaffen zu wollen. Der Präsident hatte zuletzt die strikten Verhüllungsvorschriften in Frage gestellt und sich auch dafür eingesetzt, dass Frauen Fußballstadien besuchen dürfen. Hintergrund ist, dass der Präsident mehr Macht in Sicherheitsfragen und in der Außenpolitik auf Kosten der geistlichen Führung anstrebt.
Ein gewichtiger Streitgrund für den Machtkampf zwischen Präsident und Geistlichkeit ist auch Ahmadinedschads Bürochef und enger Vertrauter Esfandiar Rahim-Maschaie, den der Präsident offenbar als seinen Nachfolger aufbauen will. Kritiker werfen Ahmadinedschads Stabschef vor allem seine zu liberale Haltung vor. Rahim-Maschaie hatte mit der Bemerkung für Entrüstung gesorgt, der Iran sei Freund aller Menschen in der Welt, auch der Israelis. Ahmadinedschad, ein erklärter Feind Israels, ließ das durchgehen; ein Affront gegen die Geistlichkeit und Chamenei. Rahim-Maschaie hatte in der Vergangenheit auch kundgetan, er könne heilige Texte wie den Koran für sich selbst interpretieren. Das wurde vom religiösen Establishment als Bedrohung ihrer Rolle in der iranischen Politik angesehen.
Zuvor hatte Rahim-Maschaie bereits provozierend kundgetan, der Iran sollte der Welt lieber die Ideologie des Iran als die des Islam nahebringen. Auch dies wird als ein Zeichen der Abgrenzung und Ketzerei gegenüber der Geistlichkeit gedeutet. 17 Experten vermuten, Ahmadinedschad wolle seinen Stabschef bei der Präsidentenwahl 2013 zu seinem Nachfolger machen, da Ahmadinedschad selbst kein drittes Mal kandidieren darf. Chamenei wiederum ist schwer krank und will seinen Sohn Mojtaba als Nachfolger im Amt des Obersten Religiösen Führers installieren. Viele Geistliche und Politiker warnen |43| Ahmadinedschad, die Autorität Chameneis infrage zu stellen, auch wenn der iranische Präsident per Gesetz das Recht hat, Minister zu entlassen. Einige Abgeordnete beschuldigen Ahmadinedschads Verbündete, mit der Entlassung des Geheimdienst-Ministers die Kontrolle über den Geheimdienst
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