Pulverfass Iran
angesagt ist in Teheran. Der Donnerstag läutet das Wochenende ein, der Freitag ist quasi der iranische Sonntag. Trotz des Verbots oder gerade deswegen und mangels öffentlicher Unterhaltung widmet man sich mit Freunden gemeinsam dem Laster, etwa dem verbotenen Kartenspiel, dem Alkohol und auch immer mehr den Drogen. Besonders alle Sorten von alkoholischen Getränken sind auf Privatpartys zu haben, meist können solche Getränke sogar bei den Sittenwächtern selbst bestellt werden – eine der vielen Paradoxien in der Islamischen Republik. Diese haben den Alkohol woanders konfisziert und verkaufen ihn teuer weiter, um ihren armseligen Sold aufzubessern – Korruption macht vieles möglich. Das kann nicht ohne Wissen der Regierung vor sich gehen, schreibt der Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan. „Irgendjemand macht das große Geld damit, und die Regierung ist an den ganz großen Geschäften sehr interessiert.“ 19
|46| Der Genuss von Whisky und Designerdrogen auf den Partys lässt westliche Besucher nicht selten staunen. Die jungen Iranerinnen und Iraner lassen es sich nicht nehmen, zu genießen, zu flirten und zu verbotener westlicher Musik einmal richtig zu tanzen. Denn in Teheran gibt es ja seit Bestehen der Islamischen Republik keine Diskotheken, Bars oder Clubs mehr. Doch die Angst feiert immer mit. Immer wieder berichten Jugendliche, aber auch Touristen, die zu einer der Partys eingeladen wurden, dass die Volksmilizen der Bassidsch diese Partys überfallen und Besucher mit auf die Polizeiwache nehmen, verhören und bestrafen würden. Als wir bei einer Feier Leyla kennenlernen, die in Kanada Business Management studiert hat und jetzt im väterlichen Betrieb in Teheran arbeitet, erzählt sie uns, dass die Sittenpolizei eine Party, auf der sie eingeladen war und ausgelassen getanzt und gefeiert hat, überfallen hat und sie selbst dabei festgenommen wurde. Auch ihr herbeigeeilter Vater konnte nicht verhindern, dass man sie, in seiner Anwesenheit, auf der Polizeiwache verhörte, sogar auspeitschte und danach wieder laufen ließ. „Wenn man sich schon in einem solchen Land und unter solchen Machthabern vergnügen möchte, dann muss man auch gewisse Risiken eingehen“, antwortete uns eine ziemlich fröhliche Leyla Wochen später lapidar. Man ist fast geneigt zu sagen, dass die Sexualität zum Kampfplatz des Protestes gegen das herrschende Regime geworden ist. Sex wird also zum Protest gegen ein Regime, das die Sexualität nicht nur aus dem öffentlichen Leben verbannen will, sondern auch noch in das Privatleben der Gesellschaft hineinredet. Kein Wunder also, dass die massiven Menschenrechtsverletzungen während und nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 ebenfalls mit Sexualität verknüpft wurden: Die Attacken der Bassidsch-Milizen gegen Regimekritiker und Sympathisanten der Grünen Bewegung waren begleitet von brutalen Folterungen und Vergewaltigungen von Frauen und Männern, die in Gefängnissen wie dem berüchtigten Kahrisak- oder dem Evin-Gefängnis stattfanden.
|47| Iran statt Ischgl
Während freitags auf dem Gelände der Teheraner Universität ein konservativer Geistlicher zum Gebet ruft und sich die Gläubigen in Richtung Mekka verneigen, macht sich die junge Elite Irans auf in Richtung Norden ans Kaspische Meer, in die Kurorte Lavasan oder Meygun oder in die Skiparadiese Dizin oder Shemshak. Dizin, das größte und für islamische Maßstäbe mondänste Skigebiet des Gottesstaates, liegt schneesicher auf dreitausend Meter Höhe zwei Autostunden nördlich von Teheran. Zum Missfallen der Mullahs kommt die junge Elite Irans hierher, um eine Ahnung von Freiheit zu genießen. Das Einzige, das diesen Skiort von österreichischen oder schweizerischen Skiorten unterschiedet, ist: Frauen und Männer stehen am Lift getrennt, das Après-Ski ist zumindest öffentlich strikt alkoholfrei und gebaggert wird nur in der Skigondel. Auch in diesen Skigebieten suchen sich die jungen Iraner ihre Nischen, um den Sittenwächtern des Gottesstaates zu entkommen. Das macht auch den Kick für die Meisten aus, die ihre Winterferien im Iran statt in Ischgl verbringen müssen.
Die Zeit scheint in Dizin, das zu Zeiten des Schah als besonders mondän galt, stehengeblieben zu sein, denn seit der Islamischen Revolution hat sich hier kaum etwas getan. Heruntergekommene Gondeln, die jederzeit abstürzen können, und knatternde Maschinen, die wohl seit Jahren nicht mehr ordnungsgemäß gewartet wurden. Das einzig Moderne, das heute
Weitere Kostenlose Bücher