Puppenbraut
Amy? Ich bin dabei, so vorsichtig wie möglich Informationen zu sammeln!“ Amy schien nicht besonders aufnahmefähig zu sein, was angesichts der Tragödie auch verständlich war. „Wenn alles klappt, können wir uns morgen an die Öffentlichkeit wenden. Irgendjemand muss doch wissen, wo sie ist. Ein Nachbar, ein Freund... Irgendjemand...“ Das klang selbst für Doreen wenig überzeugend. „Glauben Sie mir, die Statistiken sagen, dass die Hälfte der Vermissten innerhalb der ersten Woche gefunden wird! Vielleicht ist Zoey einfach nur in einen Zug gestiegen, oder etwas Ähnliches! Spätestens nach einem Monat sind mehr als achtzig Prozent der Kinder wieder daheim. Wir werden sie finden, das verspreche ich Ihnen! Ich werde sie finden!“
Amy Andrews löste sich aus der sie beide jetzt beklemmenden Umarmung und schaute nachdenklich. Egal, wie gut Doreen es meinte. Für diese Situation gab es offenbar keinen ‘richtigen’ Trost.
„Amy, ich brauche dringend Ihre Hilfe! Ich habe einige Fragen zu Zoey. Können Sie mir diese beantworten?“
„Was wollen Sie über sie wissen?“, fragte Amy eher resigniert. Die Aussicht, noch länger zu warten, schien sie zu zermürben.
„War die Kleine öfter auf dem Spielplatz im Boerum Park?“ Doreen stellte die Frage so behutsam, wie es nur ging.
„Sie traf sich oft mit ihrer Freundin, Anne. Sie tratschten dort gern. Annes Mutter schenkte ihrer Tochter zum Geburtstag ein Smartphone, daher rief ich die beiden immer an, wenn die Mädchen nach Hause kommen sollten.“ Amy schwieg für einen kurzen Augenblick. „Hätte ich Zoey bloß auch ein Handy geschenkt. Vielleicht wäre das dann nicht passiert!“, begann sie von Neuem zu weinen. Doch aus ihren Augen kamen mittlerweile keine Tränen mehr.
Doreen ging plötzlich das Märchen von Hans-Christian Andersen durch den Kopf. „Die Geschichte von einer Mutter“ hieß es. Es wurde früher gern vorgelesen, als sie noch ein kleines Kind war. Darin weinte sich die Mutter ihre Augen für ihr Neugeborenes aus, um es aus den Fängen des Todes zu befreien, bis sie blind wurde. „ Der Tod aber ging mit ihrem Kinde in das unbekannte Land” , war der letzte Satz dieser grausamen Erzählung, den sie auswendig kannte. Doreen fühlte sich entsetzlich bei dieser Assoziation.
„Haben Sie Kinder?“, fragte Amy plötzlich, um die entstandene Stille zu durchbrechen.
„Ja, eine kleine Tochter.“
„Beschützen Sie ihr Kind! Ich habe es nicht getan!“ Amy schluchzte herzergreifend. Sie verdeckte das Gesicht mit ihren Händen.
„Sie können nichts dafür! Auch ich könnte nichts tun, um so etwas zu verhindern!“ Sie mochte diese Verbindung zu Cassy nicht. „Doch um Zoey zu helfen, brauche ich noch mehr Informationen. Was ist Ihnen noch aufgefallen kurz vor ihrem Verschwinden? Und sei es noch so unbedeutend!“
„Sie wirkte so manchmal etwas abwesend…Vielleicht bilde ich es mir aber nur ein...“ Amy wischte sich die Tränen weg. „Und sie verriet mir, dass sie ein tolles Geschenk für mich zum Geburtstag hätte. Der war genau vor drei Tagen. Also an dem Tag, als meine Tochter verschwand.“ Erneutes Schluchzen.
„Wissen Sie vielleicht, was das für ein Geschenk sein sollte?“
„Das wollten schon die Cops wissen. Ich habe wirklich keine Ahnung!“
„Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Vielleicht eine Veränderung an Ihrer Tochter? Vielleicht das, was sie spielte, was sie anders tat als sonst, schrieb, trank oder aß?“
„In letzter Zeit aß sie nicht besonders viel. Ich fragte mich, ob das damit zusammenhing, dass ich mich in letzter Zeit öfter mit ein paar Bekannten traf? Sie glaubte immer noch daran, dass sie, Larry und ich eine gemeinsame Zukunft hätten.“
„War das denn so abwegig?“, hakte Doreen nach. Das war eine der Gemeinsamkeiten, die die Fälle miteinander verband.
„Ich weiß es nicht. Die Antwort auf diese Frage habe ich nicht gefunden. Jetzt spielt es auch keine Rolle mehr für mich!“ Amy hielt inne, als hätte sie überlegt. „Und dann... dann fand ich den Grund, weshalb sie das Essen verweigerte, dachte ich. Sie stopfte sich voll mit so komischem Süßkram. Als ich sie fragte, woher sie es hätte, sagte sie, es wäre ihr geschenkt worden. Nachdem ich es ihr verbot, kehrte ihr Appetit wieder. Naja, Kinder essen immer gern diesen Mist. Jetzt würde ich ihr alles davon geben, wenn sie nur nach Hause kommen würde.“
„Was für Süßkram war das?“ Doreen fragte so
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