Puppenbraut
du denken? Angenommen, dass der Typ der Psychopath von den anderen beiden Fällen wäre. Und angenommen auch, ich würde aus purem Zufall mit ihm in Kontakt kommen. Wie tritt er auf?“
„Am besten, das passiert gar nicht!“ Raffaellas Stimme nahm einen besorgten Ton an. Das waren die seltenen Momente, bei denen Ree an die lauernde Gefahr ihres Jobs denken musste. „Ich hoffe, dass Zoey nicht entführt wurde, sondern ihren Kopf in irgendwas Dummes reingesteckt hat.“ Diese Eigenlüge half Raffaella offenbar zur besseren Bewältigung der Situation. Beide kamen sie bereits an ihre Grenzen. Der Fall wurde zu persönlich. Es drohte sie aufzufressen, ohne dass sie sich davon hätten lösen können. Kaum waren drei Tage seit der Entführung vergangen, schon saßen sie hüfthoch mittendrin, wie im Moor, aus dem es kein Entkommen gab. Ihre einzige Hoffnung war, dass man Zoey wohlbehalten finden würde, denn im anderen Fall...
„Wenn du mich dennoch nach diesem Psychopathen fragst“, Raffaella setzte fort, „könnte ich mir vorstellen, dass der Mensch vielleicht sehr abweisend zu Kindern erscheint, um seine Neigungen zu verstecken. Übertriebene Freundlichkeit wäre zu auffällig. Ruhiges Vorgehen würde für einen Täter sprechen, der sehr kopfgesteuert handelt, sich daher seiner Handlungen bewusst ist. Irgendetwas sagt mir, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der sich im Großen und Ganzen als Kinderfreund begreift. Sein Auftreten dürfte eher zuvorkommend sein. Vielleicht verrät er sich dadurch, dass er besonders viel über kindliche Vorlieben weiß?“
„So wie der gute, nette Typ im Allgemeinen, der sich für eine Beziehung ‘ganz zufällig’ eine Frau mit Kindern in seinem Beuteschema-Alter sucht?“ Doreen konnte sich die Ironie nicht verkneifen.
„An so etwas habe ich gedacht, Doreen. Er wird vermutlich keine Lebensgefährtin haben. Vermutlich. Oder eine langjährige Beziehung führen, in der es an Nähe mangelt. Leider lauter Vorurteile, was?“
„Sieht so aus, Ell. Also haben wir fast nichts? Na wunderbar!“
„Diese Unmengen von Puzzlestücken werden irgendwann schon ein ganzes Bild ergeben, Schatz. Wir müssen nur anfangen, sie zusammenzulegen. Sieh zu, was du bei diesem Oliver Bradley hinausfindest. Schließlich wohnt er in der Nähe vom Spielplatz und hat Zoey beobachten können. Er gilt als der letzte Zeuge, der Zoey gesehen hat.“
„Alles klar, bis später, Ell. Heute gibt es eine Massage mit ganz vielen Küssen.“
„Ehrlich? Ich freue mich schon drauf!“ Raffaellas freudige Erregung ließ sich auch durch das Telefon nicht verbergen.
„Nicht für dich, du Dummerchen, FÜR MICH!!“ Doreen lachte herzlich. „Ich liebe dich!“
„Ich dich auch. Pass auf dich auf!“ Dieser so fromme Wunsch ihrer geliebten Partnerin erfüllte sie immer wieder mit der Wärme eines Hauses, das mit Gekicher heißen Kakaos schlürfenden Mädels an einem Winterabend erfüllt war. So fühlte sich Geborgenheit an.
Erneut nahm sie den Hörer in die Hand und wählte die Telefonnummer, die sie zuvor in ihr Notizbuch gekritzelt hatte.
„Guten Tag, mein Name ist Doreen Bertani. Ich bin Journalistin. Ich schreibe gerade einen Artikel über das verschwundene Mädchen, Zoey Andrews, und würde Ihnen gern einige Fragen stellen. Hätten Sie Zeit?“ Sie horchte angestrengt in den Hörer. Die Stimme klang piepsig und aufgeregt. Dass die Menschen aufgeregt waren, passierte ihr leider ziemlich oft, wenn sie in ihrer Rolle als Journalistin auftrat.
„Na wunderbar! In einer Stunde hätte ich ebenfalls Zeit und würde mich sehr freuen. Bis dann.“
Soeben hatte sie etwas Zeit für einen Salat und eine Tasse Kaffee in einem Schnellrestaurant gewonnen, das sie just in diesem Moment passierte.
*****
Das in der Mitte gelegene Haus in der Pacific Street, Brooklyn, dem Doreen sich gerade näherte, sah sehr gepflegt aus. Doppelhäuser mit hübsch angelegten Vorgärten und ordentlichen Einfahrten gehörten in diesem Teil von New York zum guten Ton. Just in dem Augenblick, als sie genau vor der gesuchten Eingangstür eingebogen war, sah Doreen, wie sich die Gardine leicht bewegte. Im unteren Bereich des Hauses kläffte ein Hund. Die Einfahrt war voll von Büschen blühender Rosen und Blumen, deren Namen sie noch nicht einmal kannte. Es sah hinreißend aus. ‘Offensichtlich verbringen die Hausbesitzer sehr viel Zeit an der frischen Luft’, dachte sie.
Nach dem ersten Klingeln an der Tür verstärkte
Weitere Kostenlose Bücher