Puppenbraut
beiläufig, wie es ihr möglich war, ohne ihre steigende Nervosität zu verraten. Während Amy überlegte, war bei Doreen der Geduldsfaden gerissen.
„Sah es vielleicht so aus?“ Sie zeigte Amy die vom Kiosk mitgebrachte Tüte.
„Könnte schon sein... Es kommt mir auf jeden Fall bekannt vor. Warum... ähm... fragen Sie?“
„Ach, nichts Besonderes. Ich suche nur nach Verhaltensweisen, die Ihre Tochter charakterisierten. Der Beschreibung wegen. Als Journalistin weiß ich nie, welche Informationen am Ende relevant werden. Könnte ich vielleicht auch ihr Zimmer sehen?“
„Ja, folgen Sie mir.“ Amy brachte sie in ein Zimmer, das wohl mit den schönsten Pferdepostern, die Doreen je gesehen hatte, tapeziert war. „Zoey liebt Pferde!“
‘Hier würde sich auch Cassy wohlfühlen’, dachte Ree mit einem schaurigen Gefühl. Offenbar hatte der Kioskbesitzer eine sehr gute Beobachtungsgabe. Fraglich war lediglich, ob er die Kinder als Kundschaft sah oder aus irgendwelchen Gründen ködern wollte. „Kann ich mich im Zimmer umschauen?“
„Tun Sie es ruhig!“ Die Mutter verließ das stille Zimmer ihrer Tochter schweren Herzens.
*****
Noch bevor sich Doreen ein Bild machen konnte, klingelte ihr Telefon. Zerstreut nahm sie an.
„Sie haben jetzt auch offiziell den Verdächtigen!“ Raffaella brüllte ungewohnt laut in den Hörer. In diesem Augenblick ließ sich beim besten Willen nicht an die stilvolle, beherrschte Psychologin denken. „Mehr weiß ich noch nicht. Wir müssen immer noch abwarten...“ klang, als würde die nächste Zeit zur Tortur werden.
„Haben sie sie gefunden?“ Ree ließ sich durch die Aufregung anstecken. Die Informationen sollten die Cops den Eltern mitteilen.
„Ich glaube, noch nicht... So genau weiß ich es aber nicht... Dazu soll es bald eine Pressekonferenz geben...Aber den Namen eines Zeugen habe ich herausbekommen. Notier ihn dir.“ Doreen kritzelte den ihr unbekannten Namen in ihren Notizblock: Oliver Bradley.
„Ell, Zoeys Zimmer ist so beeindruckend!“ Sie musste die eigene Trauer jemandem mitteilen. „Sie ist fast so wie unsere Tochter: Sie hat Freundinnen, mag Spielplätze, hat kleine Geheimnisse, ein lilafarbenes Zimmer mit einem wunderschönen Prinzessinnenbett und lauter Pferdepostern. Und über ihrem Bett hängt sogar eine Art Baldachin. Das, das so ähnlich aussah... Naja du weißt, das uns Cassy letztens im Katalog gezeigt hat. Es scheint ja der Hit unter den Kleinen zu sein. Der große Unterschied ist, dass es in diesem Zimmer so furchtbar, furchtbar still ist. Es scheint so, als würde jede einzelne Sache lautlos nach ihrer Besitzerin schreien. Das Gefühl muss für die Mutter besonders abends unerträglich sein...“
Raffaella seufzte. Es war tatsächlich eine beklemmende Situation für alle Beteiligten. Doch der Countdown lief, was ihnen beiden bewusst war. Manchmal gab es keine Zeit für sentimentale Momente. Taten mussten folgen. Sie sammelte sich: „Frag mal Amy, ob sie dir ermöglichen könnte, in ihrem Computer deine Mails abzurufen. Ich habe dir etwas über diesen Oliver Bradley geschickt. Du kannst vielleicht herausfinden, was er so gesehen hat?“
„Mache ich. Bis dann...“, antwortete Doreen übertrieben unnatürlich und legte auf, da Amy gerade das Zimmer betreten hatte. „Könnte ich kurz Ihren Computer benutzen?“
„Wieso nicht? Gern. Können Sie sich über meinen Account anmelden? Ich kriege nichts mehr hin, vor lauter Gedanken um Zoey. Mein Passwort ist...“ Doreen tippte die Buchstaben-Zahlen-Kombination ein.
Als sich vor ihren Augen eine Seite öffnete, die die persönlichsten Informationen über Amy anbot, hätte Doreen fast die Augen verdreht. Wie unverantwortlich teilten manche Menschen ihre tiefsten Geheimnisse mit der gesamten virtuellen Welt, in der Hoffnung, den richtigen Partner zu finden! Unfassbar.
Sie fand Unmengen von Bildern von Zoey, einige Portale und elektronische Briefkästen öffneten sich automatisch, weil sie bereits aktiv waren. Für einen Hacker wäre es kein Problem, diese Informationen anzuzapfen und nach Belieben auszuschöpfen. Bilder, Daten, Vorlieben, wichtige Tage. Alles lag frei für ein feindliches WWW -Universum, das Amy noch vor Kurzem das Gefühl der Sicherheit vermittelt hatte. Und jetzt? Drei Tage nach dem Verschwinden ihrer Tochter wurde diese Welt unbedeutend.
‘Wie lange musste diese Frau vor dem Computer bei der Suche nach dem passenden Date verbracht haben? Wie oft war
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