Puppenbraut
sich Doreen jemals hätte vorstellen können. Diese gruseligen Gestalten, mit den einem Kind ähnelnden Gesichtern, waren mit der größten Akribie gekleidet und auf dem „richtigen“ Platz drapiert worden. Einer unergründlichen Logik des Besitzers folgend. Doreen verspürte steigendes Unbehagen. Ähnliche Gefühle hatte sie schon einmal in der Jugend verspürt, als sie im Museum für Naturkunde in die Augen eines ausgestopften, unheimlich lebendig wirkenden Eichhörnchens blickte. Die sonst übliche Floskel „Schön haben Sie es hier!“ kam ihr diesmal nicht über die Lippen.
„Möchten Sie etwas trinken?“ Die Stimme von Oliver Bradley katapultierte sie sofort in die reale Welt zurück. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen! Daisy, deren Körbchen in der äußersten Ecke des Wohnzimmers stand, verfolgte sie aufmerksam mit ihrem Blick. Als würde das Tier jede noch so kleine, falsche Bewegung der Lippen deuten können. Bei größeren Veränderungen grollte die Stimme, gerade noch einen Schritt weit davon entfernt, nervtötend loszukläffen.
„Ja, gern. Wasser, bitte.“ Eigentlich war es Doreen zuwider, irgendetwas in diesem Haus zu sich zu nehmen. Dennoch wusste sie aus Erfahrung, dass, wenn sie die Freundlichkeit ablehnte, sie es schwieriger haben würde, die Barriere zwischen ihr und dem fremden Mann abzubauen.
Oliver Bradley verließ das Wohnzimmer und bot Doreen somit die Chance, sich ohne Zeugen umschauen. Sie fühlte sich immer noch unwohl, obgleich das Ambiente den gruseligen Charakter verlor, je länger sie sich darin aufhielt. Ihren Blick fesselte plötzlich eine kleine Bewegung im Garten, die sie über das Fenster wahrnehmen konnte. Unauffällig strengte sie sich an, aus dem Fenster zu spähen. Vielleicht war es eine Katze? Oder hatte sie sich nur getäuscht?
„Das ist bestimmt meine Ehefrau, Ellen.“ Doreen fuhr in sich zusammen, als hätte man sie bei einer Straftat erwischt. „Vor einiger Zeit ist sie schwer an Rheuma erkrankt. Heute geht es ohne Rollstuhl nicht mehr. Aber sie braucht den Garten! Manchmal denke ich sogar, sie benötigt ihn mehr als mich.“ Nach einer kurzen Pause wandte er sich wieder Doreen zu. Als wollte er die kleine, persönliche Anmerkung wegwischen. „Sie wollten etwas von der Kleinen aus den Nachrichten wissen? Wie hieß die noch mal?“ In der Anspielung konnte sie eine falsche Note heraushören. Der Mann versuchte gerade, sie für dumm zu verkaufen.
„Genau. Das Mädchen, das Zoey heißt. Sie wird gesucht, und Sie waren der einzige Mensch, der sie am Tag ihres Verschwindens gesehen hat. Ihre Eltern baten mich, einen Artikel über Zoey zu verfassen.“ Für gewöhnlich öffnete die reine Möglichkeit, in einem Zeitungsartikel erwähnt zu werden, die Münder der Menschen in freudiger Erwartung. Nicht anders auch in diesem Fall.
„Ach, das kleine, hübsche Ding? Sie ist mir aufgefallen, weil sie an diesem Tag so ein schönes, leuchtend blaues Kleid trug. Sah die Kleine nicht niedlich aus? Und das Kleid passte so gut zu ihren wunderschönen Augen! Ein Engel, sage ich Ihnen! Da fiel das andere Mädchen, mit der sie sich am Spielplatz unterhielt, gar nicht mehr auf. Meine Daisy“, er guckte den Dackel an, und dieser erwiderte den Blick mit einem Schwanzwedeln, bevor der Blick wieder zu Doreen wanderte und das leise Grollen wieder einsetzte. Dieser Mann war ihr nicht nur unheimlich, sondern besaß auch die Gabe, sich an alles haarklein zu erinnern, was kleine Kinder betraf. „Ähm.. Meine Daisy mag den Spielplatz, wo die süßen Dinger spielen, daher gehen wir immer dort vorbei. Das habe ich aber den Cops auch schon erzählt!“
„Ist Ihnen an dem Tag des Verschwindens etwas Außergewöhnliches aufgefallen?“
„Nun, eigentlich nicht. Die Mädchen kicherten wie immer, futterten wie immer Süßigkeiten. Nichts Besonderes. Wie immer. Dann verabschiedeten sie sich. Diese kleine, süße Zoey verschwand im Gebüsch. Später habe ich sie noch auf dem Parkplatz gesehen, doch mehr weiß ich nicht, weil Daisy wieder nach Hause wollte. Wir sind aber trotzdem noch etwas herumspaziert. Man soll das kleine Schätzchen nicht zu sehr verwöhnen!“ Mit der letzten Bemerkung schien er den Dackel gemeint zu haben.
„War Zoey dort alleine?“ Doreen ignorierte bewusst die recht anzüglichen Bemerkungen die Kinder betreffend.
„Ja sie war ganz allein, das gute Ding. Sie schaute sich ständig um, als hätte sie auf jemanden gewartet. Dann bin ich aber schon
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