Puppenfluch
Er war unglaublich misstrauisch. Aber ehrlich gesagt war sein Misstrauen ja auch berechtigt. Aron hatte es geschafft, sein ganzes Taschengeld beim Internet-Poker zu verzocken, und jetzt benötigte er dringend Kohle, weil er sich mit Siri treffen wollte. Sie hatten sich zwar im Verein verabredet, aber wenn Siri Lust hatte, konnten sie hinterher vielleicht noch ins Kino gehen oder so. Man konnte schließlich nie wissen.
»Ich ... will mir ein Buch kaufen. Über Flugzeuge.«
»Über Flugzeuge? Interessant.«
»Ich wollte bis morgen schon ein bisschen was lesen ...«, sagte Aron und merkte, wie seine Wangen heiß wurden.
Er fragte sich, warum er sich so ertappt fühlte. Konnte man sich wirklich so für jemanden interessieren, den man erst ein Mal getroffen hatte?
»Aha. Ein bisschen lesen. Damit du dich so gut auskennst wie Siri vielleicht ...«
Papa sah Aron mit einem Funkeln in den Augen an. Dumm war er nicht. Aber offenbar entschied er sich, wenigstens dieses eine Mal nicht weiter nachzubohren.
»Ich habe einiges an Fachliteratur im Arbeitszimmer, schau erst mal da nach. Nicht dass das Buch schon bei uns im Regal steht.«
Als er Arons düstere Miene sah, sagte er eilig: »Okay, okay, warte einen Moment.«
Er ging in sein Arbeitszimmer und Aron folgte ihm. Dunkle Möbel, lange dunkle Vorhänge. Vor dem Fenster stand der Schreibtisch. Die Arbeitsfläche war übersät mit Unterlagen, es sah aus wie ein heilloses Durcheinander, aber sicher steckte irgendein System dahinter.
Martin ging zielstrebig zu seinem Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf. Aron schielte ihm über die Schulter. Auf einem Kassenbuch lag das Bargeld. Ein Bündel Hundert-Kronen-Scheine und ein Bündel Fünfhunderter. Aron war baff. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sein Vater so viel Bargeld zu Hause rumliegen hatte. Martin drehte sich um und Aron schaute schnell in eine andere Richtung.
Martin steckte ihm zwei Hunderter zu.
»Danke.«
»Bitte sehr. Kauf dir ein ... gutes Buch!«
Martin lächelte vielsagend, schloss die Tür zu seinem Arbeitszimmer und ging zur Haustür.
»Sieh zu, dass du pünktlich in die Schule kommst!«, rief er, dass es durchs ganze Haus hallte, dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
»Ja, ja, ich bin gleich so weit«, murmelte Aron und widmete sich seinem Kleiderschrank.
Das Frühstück war schnell erledig. Er aß morgens nicht gerne, aber nachdem seine Mutter deswegen immer furchtbar rummeckerte, würgte er pflichtschuldig ein paar Bissen hinunter, bevor er ins Arbeitszimmer zurückging.
Er zog die oberste Schublade auf und schielte zur Tür. Es war niemand zu Hause, aber er fühlte sich trotzdem beobachtet, als er sich noch zwei Hunderter mehr nahm.
Aron steckte das Geld in seinen Rucksack, ehe er es sich am Ende doch noch anders überlegte, und war schon auf dem Weg aus dem Zimmer, als sich ein Riemen seines Rucksacks am Schreibtisch verhakte und sich der ganze Inhalt seiner Tasche über den ohnehin schon überladenen Schreibtisch ergoss. Stifte, Kleingeld, Halsbonbons, Post-its ... sogar ein klebriges Bonbon kullerte auf den Boden und blieb an den Teppichfransen kleben.
»Shit!«
Eilig stopfte Aron sein Schulzeug in den Rucksack zurück, zupfte das klebrige Bonbon aus dem Teppich und sah sich prüfend um, ob er auch nichts übersehen hatte. Ein letztes Mal kontrollierte er,ob er sein Handy eingesteckt hatte. Nur sicherheitshalber. Falls jemand anrief. Jemand Nettes. Siri zum Beispiel.
»Siri! Du musst in die Schule!«
Mama steckte den Kopf durch die Tür und sah Siri an, die mit dem Handy in der Hand auf dem Bett saß.
»Ja, ich weiß. Ich bin schon dabei.«
»Das hoffe ich. Hast du deine Hausaufgaben gemacht? Offenbar warst du gestern wie immer im Verein. Wir haben doch darüber gesprochen, dass du trotzdem lernen musst! Manchmal habe ich den Eindruck, du nimmst das alles gar nicht ernst«, sagte Mama bekümmert.
Siri seufzte.
»Aber ich hab doch gelernt«, sagte sie, obwohl das eigentlich nicht ganz den Tatsachen entsprach.
Manchmal war man eben gezwungen, die Wahrheit ein bisschen zu verdrehen. Ganz besonders jetzt. Es gab so viel anderes, woran sie denken musste.
Ihr war ziemlich mulmig geworden, als sie den Mercedes am Flugplatz gesehen hatte. Natürlich fuhren eine ganze Menge solcher Autos in der Gegend herum, aber der Anblick hatte Siris Magen dennoch einen Stich versetzt. Das Nummernschild war nahezu identisch gewesen. Es fing mit AR an. Und Martin Wikers Körperbau war dem
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