Puppengrab
Raum erklangen Stimmen.
»Was ist los?«
»Wir müssen wieder rausgehen. Ich habe eine Agentin hergerufen, die ich mal ganz gut gekannt habe. Das ist ihre Stimme.«
»Oh.« Beth blickte auf sein Hemd und strich mit der Hand darüber. »Ich habe dich ganz nass gemacht.«
Er wich ruckartig zurück und packte sie am Handgelenk. Seine Miene war grimmig. Dann senkte er den Blick und schob die Aufschläge ihres Bademantels zusammen.
»Ich, äh … ich werde mich jetzt anziehen gehen«, sagte Beth und griff nach den Aufschlägen.
Sein Adamsapfel hüpfte hoch und runter.
»Neil, ich …«
Er erhob sich. »Um Himmels willen, Beth, sag jetzt nichts, was irgendein Anwalt später aus mir herauspressen kann. Warte einfach noch.«
»Wie ironisch, nicht wahr? Du wartest schon seit Tagen darauf, dass ich mit dir rede, und seit ich nicht mehr reden darf, kommt es mir so wichtig vor wie nie zuvor.«
»Es wird der richtige Zeitpunkt kommen. Jetzt solltest du mit den Leuten vom FBI reden.«
»Warte. Was ist mit dir? Gehst du schon?«, fragte sie alarmiert.
»Gehen?« Eine Sekunde lang wirkte er verblüfft, doch dann griffen seine Finger nach dem Stoff ihres Bademantels. Er zog sie zu sich heran und küsste sie so heftig, dass die Antwort laut und deutlich war.
»Kapiert?«, fragte er anschließend. »Oder hast du noch mehr alberne Fragen auf Lager?«
Beth räusperte sich. »Nein. Ich denke, ich hab’s kapiert.«
Zehn Minuten später betrat Beth das Wohnzimmer der Suite. Lieutenant Sacowicz und der Agent namens Brohaugh standen vor einem Laptop, während hinter ihnen ein Faxgerät Seite für Seite in den Auffangkorb ausspuckte. Eine Frau, die neu hinzugekommen war, riss das Endlospapier in Seiten und reichte sie an Neil weiter. Sie trug einen modischen Kurzhaarschnitt, mit grauen Strähnen durchzogen, und einen marineblauen Hosenanzug. Dazu ein gelb-blau gemustertes Halstuch. Neils Bekannte vom FBI , wie Beth vermutete, während sie sich im Zimmer umsah. Sie glaubte, noch jemanden gehört zu haben.
Neil hatte Beth entdeckt und hielt seine Bekannte mit einer Geste zurück. »Lass sie erst essen, Standlin.«
»Ist schon in Ordnung«, erwiderte Beth. »Ich bin eigentlich nicht hungrig.«
»O doch, verdammt.«
Die Frau ignorierte Neil und streckte Beth die Hand entgegen. »Ich bin Geneviève Standlin und arbeite für das FBI . Als Psychiaterin.«
Beth erstarrte.
Was?
Sie wandte sich Neil zu. »Du hast eine Psychiaterin herbestellt? Ich werde schon nicht zusammenbrechen.«
»Nun, das trifft sich ausgezeichnet«, bemerkte Standlin. »Denn ich bin nicht hergekommen, um Sie vor einem Zusammenbruch zu bewahren. Meine Aufgabe besteht darin, ein Profil von Chevy Bankes zu erstellen. Und Ihnen etwas zu verabreichen, damit Sie schlafen können.«
»Hier ist Ihr Profil: Chevy Bankes ist ein Irrer«, schoss Beth zurück. »Und ich brauche kein Schlafmittel.«
»Beth«, sagte Neil. »Standlin ist keine Feindin. Komm schon, iss dein Früh…«
»Und du hörst gefälligst auf, mir ständig Befehle zu erteilen.« Ihre Stimme klang zwar kraftvoll, aber eine plötzliche Welle der Panik, die über ihr zusammenzuschlagen drohte, machte sie unsicher. Sie war gerade erst so weit, ihnen von Anne Chaneys Tod zu erzählen, und nun würde diese Psychotante in ihrer Seele herumstochern und immer tiefer bohren wollen.
Nun, dann würde sie ihnen eben doch nichts erzählen. Oder wenigstens nicht alles.
Eine Gestalt in einem ziegelroten Blazer trat aus der Gästetoilette. Adele Lochner.
Beth ging zu ihr hinüber. »Sie haben es gewusst.« Beths Stimme waren die aufgewühlten Emotionen deutlich anzuhören. »Sie haben die ganze Zeit gewusst, was er vorhatte, und Sie haben mir nichts davon gesagt.«
Lochner richtete sich gleich um vier Zentimeter auf. »Ich habe Ihnen gesagt, dass sie aufgrund reiner Spekulation nach dem Typen suchen, und so war es auch. Auf dieser Basis wäre es nicht sehr klug von Ihnen, denen ein Mordgeständnis zu liefern.«
»Aber von Spekulation kann längst nicht mehr die Rede sein, nicht wahr?«, sagte Neil.
»Meine Aufgabe besteht darin, meine Klientin zu schützen, Mr. Sher…«
»Das reicht jetzt«, schaltete sich Lieutenant Sacowicz ein. »Wir stehen alle auf derselben Seite, und jeder macht seinen – oder Sie Ihren – Job.« Er wandte sich Beth zu. »In der Küche steht etwas zu essen bereit. Sie sollten zugreifen.«
Es hatte im Hotel wohl ein Frühstücksbüfett gegeben, und ein wenig von allem war
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