Puppengrab
gingen, und sie verhöhnt.«
»Hat Bankes währenddessen auch das Wort an Sie gerichtet?«, fragte Standlin.
»Eigentlich nicht, er war ganz und gar auf Anne fixiert. Ich war nur zufällig da, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Damals war ich noch keine Kämpferin und wusste nichts über Selbstverteidigung.«
»Also haben Sie Bankes mehr oder weniger aus freien Stücken in den Wald begleitet.«
Die Missbilligung in Standlins Stimme traf sie wie ein Peitschenhieb. »Was hätte ich denn tun sollen? Er hatte eine Waffe bei sich. Und er hatte eine Tasche geschultert, die er zwar gelegentlich verlagerte, aber er hielt die Pistole immer auf uns gerichtet. Ja, ich bin mehr oder weniger aus freien Stücken mitgegangen. Ich dachte, er würde uns töten, wenn ich mich weigerte.«
»Was war das für eine Tasche, die er bei sich hatte?«, fragte Lieutenant Sacowicz.
»Ich weiß es nicht genau. Leinen, glaube ich, oder Nylon. Eine einfache Sporttasche eben. Sie wirkte nicht besonders schwer, aber er … rückte den Griff immer wieder auf seiner Schulter zurecht, als befände sich etwas Kostbares darin.«
»Und dabei sprach er mit Anne«, sagte Standlin.
»Und er verspottete sie. Es gefiel ihm, ihr beim Weinen zuzuhören.«
»Bei dem Gerichtsverfahren«, sagte Brohaugh, »sagte der Staatsanwalt, dass Bankes Chaney wochenlang verfolgt und sie dazu gebracht hatte, ihre Telefonnummer zu ändern, die Schlösser auszutauschen und den Wohnort zu wechseln. Doch angeblich hatte Chaney häufig wechselnde Männerbekanntschaften, und Bankes’ Anwälte meinten, dass einer ihrer früheren Liebhaber der Stalker sein könnte.«
Neil blickte Beth an. »Bankes wollte sich nicht an dir vergreifen, oder?«
»Ich hätte eigentlich gar nicht dort sein sollen. Er schob mich gegen einen Baum und befahl mir, mich hinzusetzen.«
Tu es nicht. Kämpfe.
Der Impuls fand seinen Weg zurück in ihr Bewusstsein, wie große, hässliche Narben, die ihre Hilflosigkeit und ihre Schwäche enthüllten.
»Ich wusste nicht, was ich hätte tun sollen«, sagte sie. »Er hatte eine Waffe. Ich … ich habe einfach getan, was er mir befahl, und dann hat er wieder Anne verhöhnt und«, sie schluckte, »sich dabei einen runtergeholt. Anne hatte geweint.«
»Was haben Sie währenddessen getan?«, fragte Standlin.
Ich lehnte an dem Baum und tat nichts. Während Anne weinte und ihn anflehte, dass er ihr nichts antun möge.
»Denken Sie es nicht nur, Beth«, befahl Standlin. »Sprechen Sie es laut aus.«
»Ich habe nichts getan, verdammt noch mal! Wäre ich in den See gegangen, wäre ich erfroren. Wenn ich versucht hätte, wegzulaufen, hätte er mich erschossen. Ich dachte, wenn wir vielleicht beide losgerannt wären, aber Anne … Sie hätte nicht …«
»Sie hätte es nicht geschafft wegzurennen«, beendete Standlin den Satz.
Steh nicht bloß herum, Anne, verdammt. Tu etwas.
Beth schüttelte den Kopf. »Sie hat sich zusammengerollt und geweint.«
Anne, hör auf! Du machst alles noch schlimmer.
»Das hat Sie bestimmt sehr wütend auf Anne gemacht.«
Lochner erhob sich. »Was, zur Hölle, soll das werden?«
»Seien Sie nicht albern«, erwiderte Beth. »Ich war nicht wütend auf Anne.« Doch noch während sie die Worte aussprach, rann ihr eine dicke Träne über die Wange. Sie wusste nicht warum, aber sie wischte sie hastig mit dem Handrücken fort. »Sie hat bloß alles nur noch schlimmer gemacht. Er wollte sie zum Weinen bringen, weil ihn das Geräusch anmachte. Dann bemerkte ich, wie er sich nach seiner Tasche umsah. Er trat einen Schritt von Anne weg, um die Tasche näher heranzuziehen. Es war nur eine Sekunde, doch ich dachte, vielleicht …«, sie schluckte. »Ich griff nach seinem Arm.«
Lauf, Anne! Lauf, verdammt.
»Und nach der Waffe.«
Lauf!
»Sie rannte los. Endlich tat Anne, was ich ihr sagte, und wollte wegrennen. Ich kämpfte mit Bankes. Und dann ging die Waffe los …«
Plopp. Plopp.
O nein, nein, nein …
Lochner stieß einen Fluch aus, und von irgendwoher im Raum hörte sie Neil sagen: »Ah, verdammt.« Beth schloss die Augen, doch die Erinnnerungen waren da und zogen an ihr, zerrten sie hinab.
Standlin trat näher. »Sie haben Anne davon überzeugen können, loszulaufen, Beth? Und Sie haben Bankes angegriffen?«
Verdammt, Beth, was hast du dir bloß dabei gedacht? Einen bewaffneten Mann anzugreifen? Adams Stimme, scharf und wütend. Sie schüttelte sie ab und blickte sich mit verschwommenem Blick im Raum um.
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